Von frischer Kuhmilch und warmem Kakao

Vielleicht habe ich nur eine sentimentale Phase. Vielleicht schlägt mir die Lockdown-Zeit doch mehr aufs Gemüt, als ich bisher dachte. Vielleicht hat es mit dem Buch zu tun mit Geschichten über das Altern, das ich vorhin fertiggelesen habe. Damit, dass mir so einiges darin bereits vertraut ist oder ich es zumindest als nicht so abwegige Schilderungen aus dem Leben älter werdender Frauen betrachte.

Während ich die Milch auf meinem Herd nicht aus den Augen lasse und mir überlege, wie viele Löffel Kakao ich in diese einrühren soll, kommt die Erinnerung an gestern Nachmittag hoch. An die Tasse mit warmen Kakao, welche meine Tochter Lisa für mich gemacht hatte. Ich spüre die Tränen aus mir aufsteigen. Schon gestern Abend hatte ich einen emotionalen Moment. Als ich Lisa mit der Taschenlampe meines Handys zum Milchtank auf dem Hof ihrer zukünftigen Schwiegereltern begleitete, weil sie noch frische Milch holen wollte. Frische Kuhmilch, so wie die Kühe sie an diesem Abend kurz zuvor gegeben hatten. „Kühe geben Milch.“ Mit diesem Selbstverständnis bin ich aufgewachsen auf dem kleinen Sacherl meiner Großmutter. Das zwar mein Opa von seinen Eltern geerbt hatte, doch diejenige, die ich mit ihren drei Kühen und dem Land hier emotional verbunden erlebte, war meine Oma.

 

Auch wenn das Herausfließen der Milch gestern Abend aus dem modernen, großen Milchtank nichts mehr gemeinsam hatte mit dem Bild der Milchkannen meiner Kindheit, so weckte es doch eine vertraute Erinnerung, auf die ich so gar nicht vorbereitet gewesen war. Obwohl ich mich lange gegen die „Packerl-Milch“ gewehrt hatte, schlich sie sich doch über die Jahre immer mehr als Normalität in mein Leben, das realisierte ich plötzlich, als die Milch in das Litermaß floss, das Lisa unter den Abflusshahn hielt. Auch wenn ich mir beim Bauernmarkt oder auf unserer Nußdorfer Schrona hin und wieder „Bauernmilch“ in der Glasflasche kaufe und im Alltag fast nur noch Hafermilch verwende, so verbinde ich Kuhmilch inzwischen doch mit dem Bild der verschiedenen Milchpackungen im Kühlregal der Geschäfte, so die schlagartige Erkenntnis gestern Abend. 

Mich an die frühere Normalität erinnert fühlen

Vielleicht tat auch der vertraute Geruch nach Stall, Kühen und Milch sein Übriges, der mir beim Betreten des „Milikammerls“ entgegenkam. So lange hatte ich diesen Geruch nicht mehr in der Nase gehabt. Vor allem in der Zeit als junge Frau, als die diversen Hofbesichtigungen im Verwandtschafts- und Freundeskreis nach der Übernahme durch die Jungen in meinem Leben hoch im Kurs standen, hatte mich dieser Geruch mehr angeekelt als angezogen. Damals sah ich im Zusammenhang mit Bauernhöfen vor allem die viele, nie endende Arbeit. Ein Los, dem ich entgehen sollte, obwohl Hans, mein Ex-Mann als ältester Sohn als Hoferbe vorgesehen war.  

Zuerst habe ich abgelehnt, als Lisa mich gestern Abend fragte, ob ich mir auch etwas frische Milch mitnehmen will. Ich weiß, wie ein Auto im Sommer riecht, in dem Milch ausgelaufen ist. Diese Erfahrung von Hans wollte ich nicht wiederholen. Obwohl er damals, in den Anfangsjahren unserer Beziehung, als der Widerstand gegen „Packerl-Milch“ auch bei meiner Mutter noch groß gewesen war und er deshalb die frische Kuhmilch vom Hof seiner Eltern in einem Plastikbehälter hierher zu uns transportierte, alle Sitze ausbaute, die Bodenabdeckung mit dem Hockdruckreiniger intensiv abspritze, hat er das Auto nach dem ersten Sommer „danach“ doch verkauft. Noch mehr Sommer mit dem „Geruch von Käserei“, das wollten wir nicht.

Trotz dieser Erinnerung hat mich dann doch etwas in mir „ja“ sagen lassen, als Lisa eine fest verschließbare Glasflasche für meinen Milchtransport ins Spiel brachte. Mit dem Hinweis, dass ich sie bis Sonntag aufbrauchen muss, füllte Lisa die Milch aus ihrem Litermaß in die Flasche. Ich realisierte, wie normal es auch für mich geworden war, die ich doch mit dem Wissen groß geworden bin, dass sich Kuhmilch nur ein paar Tage hält, dass die Milch eine Woche oder auch länger im Kühlschrank stehen kann. Das, was früher selbstverständlich gewesen war, das, was ich nicht anders gekannt hatte, war mir doch irgendwie abhandengekommen. Dass dem so ist, sollte ich gestern Abend realisieren.

Als meine Oma zu alt geworden war zum in den Stall gehen, wurden die drei Kühe verkauft und die Wiesen an einen Nachbarn verpachtet. Lisa war ihr erstes Urenkerl. Als Lisa sich nach der Hauptschule für die ART-Oberstufe der Ursulinen entschied, fragte meine Oma nach, ob sie dort auch Kochen lernen würde. Als ich dies verneinte, blickte sie mich sorgenvoll und auch etwas verständnislos an. Der Ratschlag, Lisa doch lieber in den „Annahof“ zu schicken, wo sie auch kochen lernen würde, folgte. Die Hoffnung, dass Lisa als junge Frau auch ohne hauswirtschaftliche Schulbildung nicht nur gerne, sondern auch gut kochen würde, die ist meiner Oma damals offenkundig schwergefallen. Noch weniger war in der Vorstellungswelt meiner Oma damals wohl das Bild vorhanden gewesen, dass Lisa als zukünftige Bäuerin in ihre Fußstapfen treten könnte.

Auch für mich war diese Vorstellung zwiespältig und herausfordernd gewesen, als Lisa mir erzählte, dass Sebastian den Hof seiner Eltern übernehmen will. Mit dem Moment, in dem ich Lisa gestern Abend beim Abfüllen der Milch erleben sollte, ging dahingehend etwas in mir in die Lösung, in die Heilung. Schlagartig wurde mir bewusst, dass es gut ist, so wie es kommen soll. Ich sah und spürte beim Anblick der frischen Milch, die aus dem Tank floss, nicht nur die damit verbundene Arbeit, sondern auch das Geschenk „frischer Milch“, das nicht selbstverständlich ist. Ich spüre die Erkenntnis, die Zuversicht in mein Bewusstsein sickern, dass Lisa etwas umschreiben soll, umschreiben wird. Sie die alten bäuerlichen Muster unserer Familiensysteme, dass Frauen nur für die Arbeit und zum Kinderkriegen da waren, durchbrechen und verändern soll und wird. 

Die Sache mit dem warmen Kakao

Bleibt noch die Sache mit dem Kakao. Auch damit sollte Lisa gestern Nachmittag etwas „umschreiben“ in mir. So richtig realisiert habe ich das allerdings erst heute Morgen, als ich beschloss, aus der „frischen Kuhmilch“ Kakao für mich zu machen. Die Erinnerung, wie ich gestern Nachmittag mit Lisa am Tisch saß, vor mir die Tasse mit warmem Kakao, den sie für mich zubereitet hatte und dazu ein Schüsserl Vanilleeis mit selbst eingelegten Birnenstückchen, stieg hoch. Die Tränen, welche dieses Bild begleiteten, führten mich auf die Spur des Erkennens. So selbstverständlich und normal es für mich all die Jahre als Mutter gewesen war, für Lisa und ihre beiden Geschwister Kakao zu machen, so ungewohnt fühlte es sich an, nun plötzlich von meiner Großen mit Kakao verwöhnt zu werden.

Nun, wo ich darüber schreibe, tauchen weitere Bilder dazu auf. Aus der Zeit, als Lisa noch hier bei uns im Haus wohnte, allerdings schon ihr eigenes Reich in unserer Keller-Wohnung hatte. Auch dort hat Lisa gerne gekocht. Hin und wieder hab ich mit ihr unten gegessen. Erst heute, Jahre später, ausgelöst durch den warmen Kakao von gestern, sollte ich erkennen, dass ich das komische Gefühl schon damals gespürt habe. Darf ich als Mutter tatsächlich einfach so hier sitzen und mir von meinem Kind etwas zum Essen, einen warmen Kakao servieren lassen? Woher kommt das schlechte Gewissen, das ich dabei schon damals bei ihr am Tisch in ihrer Kellerwohnung verspüre, aber erst heute als solches greifen und benennen kann? Wieso berührt es mich gar so sehr, von meiner Großen mit dieser Tasse warmen Kakao verwöhnt zu werden? Die Tränen dazu sind vorerst fertig geweint, sie es scheint. Der Weg des Heilens der alten, systemischen und persönlichen Themen will auch in diesem 2021 weiter beschritten werden… 

 

Das am Beginn angesprochene Buch: "Der letzte Geschlechtsverkehr und andere Geschichten über das Altern" von Heike Sander. 


 

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