Urmutter Anna und das Wissen der Frauen - Die Ursprünge ihrer weitverbreiteten Verehrung und die Verbindung der Heiligen mit alten Frauenkultorten.

Am nordöstlichen Ausläufer des Haunsbergs ist Anna die „Anna-Kapelle“ von Berndorf gewidmet. In dreifacher Gestalt der „Anna Selbdritt“ erscheint sie dort auf dem Altarbild. Als lehrende Mutter mit dem Buch in der Hand, begegnet uns Anna in der Salzburger Kollegienkirche am Universitätsplatz. Auf dem Ettenberg im Berchtesgadener Land, am Fuße des Untersbergs, findet alljährlich am Sonntag nach dem 26. Juli, dem katholischen Gedenktag der Heiligen, das Anna-Fest statt. 

Obwohl die Hl. Anna, die Großmutter Jesu, im Neuen Testament an keiner Stelle namentlich erwähnt wird, ranken sich zahlreiche Legenden um ihre Gestalt und ihr Leben. Im späten Mittelalter kamen Bilder von der Geburt Mariens auf, die von Hebammen gebadet wird. Beliebt sind seither auch jene Darstellungen der Mutter Anna, die ihrer Tochter das Lesen beibringt. Ab dem 13. Jahrhundert werden der Heiligen mehr und mehr Kirchen und Altäre geweiht. Die Blütezeit des Annakultes war die Umbruchzeit am Beginn der Neuzeit, in der Pest und Naturkatastrophen Angst und Schrecken verbreiteten. „Damals gelangte Anna zu größerer Popularität als ihre Tochter Maria.“, so Erni Kutter in ihrem Buch „Heilige Weibsbilder“.

Hinter der Heiligen steht eine frühe Göttin der jungsteinzeitlichen, matriarchal geprägten Mittelmeerkultur, die sich auf dem Weg über die großen Ströme auch nach Mitteleuropa hinein ausbreitete, „wie der Name des Flusses Donau (lat. Danuvius) zeigt, was „Aue/Fluss der Dana“ heißt“, so die Erläuterung von Heide Göttner-Abendroth in ihrem Buch „Berggöttinnen der Alpen“. Der Paläolinguist Richard Fester hat nachgewiesen, dass die Silbe „ana“ zu den Ursilben der Menschheit gehört. Sie kommt in vielen Sprachen vor und bezeichnet überall die Urmutter eines Volkes. „Ana“ ist die Magna Mater, die Große Mutter, deren Stelle im Volksglauben des späten Mittelalters die hl. Anna einnahm.  Deshalb begegnet sie uns bis heute in zahlreichen Kirchen der SALZACHbrücke-Region. Eine ihrer vielfältigen Zuständigkeiten als katholische Heilige ist jene für Geburt und Tod. Sie gilt als Schutzheilige aller Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen. Zudem ist sie Sterbenden eine mächtige Helferin beim Übergang ins Jenseits.

Diese weiblich-göttliche Kraft, die alles Leben hervorbringt und zu der alles zurückkehrt, wurde in vorchristlicher Zeit auch auf der Westseite des Haunsbergs verehrt. Als „Frauengrube“ wird der alte Kultplatz, mit der Höhle als Eingang in die Anderswelt und dem Wasserfall als Ort der Wiedergeburt der Seelen, heutzutage bezeichnet. Deshalb begegnet uns „Anna“, als Wiedergebärerin des neuen Lebens, auch in der Schlössler Kirche St. Pankraz in der Darstellung der „Geburt Mariens“. Die weibliche Abstammungslinie ist ein Thema des auf matriarchale Traditionen zurückgehenden Motiv der „Anna Selbdritt“, in der Anna als weise Alte, Maria als die Mutter und das „Jesus“-Kind dargestellt sind. Die Bezeichnung „Anna Selbdritt“ verweist auf das zweite Thema, die Göttin in ihren drei Aspekten, die trotz ihrer dreifachen Erscheinung immer als die „All-Eine“ galt. „Ähnlich wie sie verkörpert auch Anna Selbdritt „die Eine zu dritt“ beziehungsweise die Dreiheit in der Einen, die immer sie selbst bleibt und die Alle(s) einschließt.“, so Erni Kutter.

Ein Stück weiblicher Kulturgeschichte spiegelt sich im Bild der Mutter Anna, die ihrer Tochter Maria das Lesen beibringt. Der Zugang zu Schrift und Bildung wurde vielen Mädchen bis in die Neuzeit hinein verwehrt. Es waren kluge Mütter, wissbegierige Frauen und weitsichtige Nonnen, die das Recht auf Mädchenbildung erkämpft und umgesetzt haben, bestärkt durch Heilige wie Anna. 

Anna lehrt Maria das "Wissen der Frauen". 

 

Dieser Beitrag ist auch in der Juli 2021-Ausgabe des Magazins #Salzachbrücke erschienen.

Im Rahmen meiner landschaftsmythologischen Wanderung "Magisches Salzburg" erzähle ich mehr über die vorchristlichen Plätze und Sagen der Salzburger Altstadt und wir besuchen dabei auch die Anna-Selbdritt-Darstellung im Stift Nonnberg: https://www.wildmohnfrau.at/magisches-salzburg

Möchtest Du mehr erfahren über die landschaftsmythologische Betrachtungsweise der alten Bräuche, der Landschaft, der Sagen und Mythen und des Kirchenjahres: Lehrgang matriarchale Landschaftsmythologie und zu meinen landschaftsmythologischen Wanderungen

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