Apéro riche mit feministischen Häppli
Eingeladen wurde ich zu einem „Apéro riche“. Da mir als Österreicherin dieser Begriff nicht bekannt war, habe ich das Internet befragt. Der Apéro gehört zur gesellschaftlichen Kultur der Schweiz wie das Matterhorn und der Emmentaler. Beim Apéro geht es in erster Linie um die Begegnung und den Austausch mit Menschen und untrennbar damit verbunden sind die „Häppli“. Diese sind jedoch weder Vorspeise noch Hauptgericht. Ein Apéro riche bezeichnet einen besonders reichhaltigen Apéro.
14tätig serviert Irène von Roten in ihrem virtuellen „Apéro riche mit Themenschwerpunkt“ für die feministische Fakultät Schweiz, gemeinsam mit Zita Küng und Gerda Zürrer im Redaktionsteam Themen, die Frauen interessieren. Es sind feministische Häppchen, zum An-Denken, zum Weiter-Geben, die im Rahmen des Apéro riche serviert werden und keine komplette Hauptspeise.
Themengeberin am 19. November 2020 war Johanna Seeliger. Ihre
„Häppli“ handelten von „Corona, Geschlecht und unserem Wirtschaftssystem“.
Über einige davon habe ich mir aus meinem matriarchalen Blickwinkel meine Überlegungen
gemacht. Meine Wahrnehmungen, Gedankengänge, Sichtweisen und Erkenntnisse dazu will
ich nun im neuen Jahr endlich mit Euch teilen.
Erstaunt
zeigte sich Johanna, die gemeinsam mit anderen Frauen die Corona-Thematik aus
dem geschlechtsspezifischen Blickwinkel betrachtet und analysiert hatte,
darüber, dass das Geschlecht als positiv relevant betrachtet wurde bei einer Analyse,
welche Länder gut und welche schlecht durch die Corona-Krise im Frühling
gekommen sind. Der Unterschied in der Führungskompetenz durch Frauen war wahrgenommen
und kommuniziert worden, so eines ihrer Häppli für uns.
„Wir
brauchen eine Wirtschaft und Gesellschaft, die auf Krisenfestigkeit
ausgerichtet ist. Einen Gesellschaftsvertrag, der für alle Gesellschaftsgruppen
und der Natur gegenüber fair ist.“,
so das nächste Häppli von Johanna. „Was sind Ansätze, wenn die Wirtschaft
auf Krisenfestigkeit statt Profit ausgerichtet ist? Wie sieht ein
Wirtschaftssystem konkret aus, das Allen zugutekommt?“, fragt Irène dazu in
den Kommentaren.
Mir
kommt dazu sofort das Grundprinzip matriarchaler Gesellschaften in den Sinn:
„Ein gutes Leben für Alle!“ Die Subsistenzwirtschaft matriarchaler Kulturen,
die unabhängig von den Weltmärkten in der Region produziert und somit auch die
Wertschöpfung dort hält, anstatt des Geldabflusses in die Hände von Konzernen.
Die Bilder der Frauen auf dem Markt von Juchitán, Mexikos „Stadt der Frauen“,
steigen in mir hoch.
„Eigentlich
geht es nur gut, wenn es allen gut geht!“,
so die Erkenntnis der teilnehmenden Frauen. Die Sicht darauf, was es brauchen
würde, eröffnet sich immer mehr Menschen. Doch oftmals fehlt das Wissen darüber,
dass jene Gesellschaftsstrukturen, welche diese „faire, krisenfeste“
Wirtschaftsform ermöglichen, nicht neu erfunden werden müssen. Die moderne
Matriarchatsforschung liefert vielfältige und anschauliche Beispiele dafür.
Ein
weiterer Themenpunkt war die weibliche Care-Arbeit, die vom System resorbiert
wird. Man könnte auch sagen: „Care-Arbeit ist all das, was Frauen machen,
damit es den Menschen um ihnen herum gut geht.“ Die Organisation der
Care-Arbeit muss eine zentrale Rolle spielen, so das nächste Häppli.
Wieder
liefert mir mein Wissen über matriarchale Gesellschaften die Antwort dazu, denn
die „weiblich-mütterliche Care-Arbeit“, in matriarchalen Kulturen als das „mütterliche
Prinzip“ bezeichnet, bildet die Basis ihrer Gesellschaft. Gemeinsam tragen
Frauen und Männer Sorge für das Wohlergehen ihrer Clans, ihrer Sippe, ihrer matriarchalen
Gesellschaften. Zu den Sprechern der Clans werden jene Männer gewählt, die sind
„wie eine gute Mutter“.
Ein
nächstes Häppli beschäftigt sich damit, dass Firmen einen Teil ihrer Steuern
für die Infrastruktur bezahlen. Für Kindergärten, Schulen, Universitäten…je
höher das Bildungsniveau, desto mehr Geld ist dem Staat diese Infrastruktur
wert. Ein Universitätsprofessor verdient um Vieles mehr als eine
Kindergarten-Pädagogin. Damit Kinder jene Infrastrukturen durchlaufen können,
aus denen sie als Arbeitskräfte für die Unternehmen und Betriebe entlassen
werden, ist am Beginn die „Infrastruktur Mutter“ entscheidend. Doch diese „Infrastruktur“,
welche all die nächsten Schritte erst möglich macht, wird im Patriachat als „Freizeitspaß
der Frauen“ betrachtet.
Die
Grundstruktur der patriarchalen Gesellschaft, welche auf der Ausbeutung und
Vereinnahmung der „mütterlichen Geschenke“ beruht – seien dies die
Menschenmütter, die Tiermütter oder Mutter Erde als die Schenkerin all dessen, was
das Patriarchat zu „gewinnbringenden Ressourcen“ gemacht hat – ist in diesem
Häppli anschaulich auf den Punkt gebracht.
Menschen,
als „Ressourcen“ für die Wirtschaft betrachtet, als „Humankapital“ bezeichnet im
neoliberalen Wirtschafts-Sprech. Auch die bezahlte Care-Arbeit wie Pflege, medizinisches
Umfeld, Kindergarten, Betreuungswesen ist schlecht bezahlt. Dazu die gesamte unbezahlte
Care-Arbeit – darauf baut der patriarchale Kapitalismus seine Gewinnmaximierungen
auf. Jedoch nicht „Die Wirtschaft muss wachsen.“, sondern auf der Erde muss es
wachsen. Ohne „Infrastruktur Mutter Erde“ keine darauf aufbauenden
Wirtschaftsformen – so wie ohne „Infrastruktur Mutter“ kein menschliches Leben.
„Der
Kuchen ist nicht groß genug für Alle!“ – damit spaltet das Patriarchat die
Gesellschaft und verhindert den Zusammenschluss der unterschiedlichen Gruppen
von Menschen, so Johanna’s nächstes Häppli. Deshalb ist es so bedeutsam, uns
darüber bewusst zu werden, dass es nicht nur den patriarchalen „Mangel-Kuchen“,
sondern auch den matriarchalen „Mutter-Kuchen“ gibt, der darauf ausgelegt ist,
alle Kinder gut zu ernähren.
Ein
weiteres Häppli: „patriarchale Schwerkraft“ und „weibliche Monsterqualitäten“. Interessante
Bezeichnungen, die mir so bisher nicht bekannt waren. Fast nur Männer sind
vertreten in den Think-Tanks, in denen versucht wird, Lösungen für die
gegenwärtigen Probleme zu finden, so die Feststellung von Zita Küng. Wenn die
Frage gestellt wird, „Wer sich wichtig fühlt?“, dann zeigen vor allem Männer
auf und die kommen auch zum Zug, da sie bereits bestimmte Funktionen ausfüllen.
Eine
Frau hingegen, die sich selbst ermächtigt, eine Frau, die Bedeutung und Raum
für sich beansprucht, ist für so manchen Mann eine Anmaßung, eine „Hexe“, ein
„Monster“. Deshalb müssen wir Frauen wieder mehr „Monsterqualitäten“
entwickeln, so ihre die einprägsame Empfehlung an uns.
Ich
war zum ersten Mal Teilnehmerin einer Veranstaltung, bei welcher das
Gender-Sternchen gesprochen wurde. Es war nicht mehr die Rede von „Frauen“,
sondern von „Frauen-Sternchen“. Am 10. März werde ich im Rahmen des
„Apéro riche“ ein Referat über matriarchale Gesellschaftsstrukturen halten. Je
öfter ich das „Frauen-Sternchen“ aus dem Munde von Johanna Seeliger hörte,
desto mehr wuchs meine Abwehr, auch so sprechen zu müssen, um „wissenschaftlich
korrekt“ zu formulieren.
Ich
fragte mich, ob Trans-Menschen tatsächlich „Sternchen“ sein wollen. Ich spürte
Widerstand in mir, weil nicht mehr die Rede sein darf von „Frauen“, sondern wir
nun zu „Frauen-Sternchen“ geworden sind. Vom Sternchen ist es nicht mehr weit
zum Weibchen und zum Püppchen und zum Kätzchen. Wenn, dann will ich ein
„Frauen-Stern“ sein, denn Sterne strahlen viele Jahrtausende des Nachts am
dunklen Himmel. Sternchen gehen jedoch meist schnell wieder unter.
Johanna schreibt in ihrem abschließenden Chat-Kommentar: „Eine Gesprächskultur einüben, in der man sich weniger gewählt ausdrücken darf. Um die Hemmschwelle zu senken für jene Frauen, die nicht aus universitären Kreisen kommen.“
Ob
Johanna Gedanken lesen kann…
Zu den Veranstaltungen der feministischen fakultät
Mehr erfahren über matriarchale Gesellschaften: www.wildmohnfrau.at
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