Mich drüber freuen…



Frau See hat mich heute mit einer Fülle an Kastanien beschenkt. Nachdem ich sie schon fast ganz umrundet hatte, kam ich auf den letzten Metern vorm Parkplatz am Kastanienbaum bei der Sandkiste vorbei. Dort, wo meine Kinder viele glückliche und fröhliche Stunden erlebt hatten, purzelten plötzlich die Kastanien förmlich vor meine Füße. Zuerst wollte ich nur ein paar davon mitnehmen, sie in meine Hosentaschen stecken. Doch damit war die Kleine in mir nicht einverstanden. „Ganz viele“ wollte sie sammeln, das hatte sie sich in meiner Kindheit schon immer gewünscht. 



Die Erwachsene hörte auf die Kleine, holte einen Sack aus dem Auto und machte sich ans Klauben. Glänzend und noch ganz feucht lagen sie in meiner Hand, eine nach der anderen und wanderten in den Sack. Ein Mann saß rauchend und auf sein Handy schauend auf einer der Bänke vorm Kiosk. Was würde ich ihm antworten, wenn er mich fragen sollte, was ich mit all den Kastanien vor hab, so ging es mir plötzlich durch den Kopf. „Was daraus basteln“, weil das tun doch alle damit. Aber ich hatte das doch gar nicht vor. „Er wird vermutlich meinen, dass ich Kindergärtnerin bin“ oder soll ich ihm erklären, dass man Waschmittel aus den Kastanien machen kann? Aber vermutlich werde ich auch das nicht draus machen, sondern sie einfach in einen Korb geben. „Zum Dekorieren“, kam mir als nächstes in den Sinn. Dekorieren tun Frauen ja bekanntlich gerne und das war unverfänglicher, als zu sagen, dass ich daraus vermutlich beim nächsten Ritual eine Kastanienspirale legen werde. Als Dank für Mutter Erde, die all diese sinnlich-glatten Schönheiten in meinen Händen hat wachsen lassen. 




 Ich beobachtete mich selber, hörte mir selber zu bei diesem inneren Dialog. „Weil es gesund für meine Wirbelsäule ist, mich immer wieder runter zu bücken und bewusst wieder aufzurichten“, da wirkte eindeutig noch die Yogastunde von heute Vormittag nach. „Weil ich mich dabei gut erden kann und diese Kraft der Erde grade dringend brauche, um mich wirklich zu erholen von den Anforderungen der letzten eineinhalb Jahre.“ Wie vernünftig die Erwachsene in mir doch ist und woran sie so alles denkt. Irgendwann wurde es der Kleinen in mir dann doch zu bunt und plötzlich war sie da, die ultimative Antwort: Mich drüber freuen! Genau! 





Warum hatte ich nicht gleich an das doch so Naheliegende gedacht. Aber darf frau sich einfach nur so drüber freuen? Ist sich drüber zu freuen Grund genug? So ging der Dialog in mir weiter. Mir wurde bewusst, wie ich darauf geprägt worden bin, dass alles was ich tue, einen Nutzen haben muss. Das Erkennen hilft mir, diese Prägung bewusst loszulassen. Sie abfließen zu lassen in die Erde, während meine Hände durch die herbstlichen Kastanienblätter fahren, auf der Suche nach weiteren, prallen Kastanienwesen.

Ich freu mich wie ein kleines Kind über die Fülle in meinem Sack. Der Wind holt heute Mittag nicht nur die Blätter wie Schneeflocken von den Bäumen, sondern auch die Kastanien. Sie fallen mir auf den Kopf, fallen neben mir auf die Wiese, in die Sandkiste. In mir jubelt meine Kleine und die Erwachsene realisiert, dass sich erwachsene Männer gar nicht dafür interessieren, was Frauen mit so vielen Kastanien machen werden. Ich freu mich trotzdem oder grade deswegen immer noch mehr drüber, denn es ist gar nicht so selbstverständlich, sich über die vielen Kastanien so freuen zu können… 





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