Eine Frau am Kreuz: Die „Kümmernis“

Befreit von Kümmernissen, Nöten und Leid durch weibliche Magie 

An der Landesstraße von Obertrum nach Seeham liegt im Ortsteil Seeleiten die „Schnellingerkapelle“. Über einem einfachen Holzaltar hängt ein Farbdruck der Hl. Kümmernis. Eine Tafel mit der Kümmernislegende ist darin ebenso zu finden wie ein Gebet zu dieser seltsamen Heiligen mit Bart. Die in der Kapelle nachzulesende Version der Legende stammt von Konrad Schwach und wurde 1924 in „Blätter für Heimatkunde“ veröffentlicht:

„Die Heilige Kümmernis war einst eine wunderschöne Prinzessin, die Tochter eines heidnischen Königs von Portugal. Dieser wurde in einen argen Krieg mit dem Beherrscher von Sizilien verwickelt, und um diesem ein Ende zu machen, verlobte der Vater der Prinzessin sie mit dem Sizilianer. Der aber war noch Heide. Die Prinzessin war der Verbindung abgeneigt, sie wollte einem Heiden ihre Hand nicht reichen, da sie die Lehre Christi angenommen hatte. Sie betete zum Heiland um Hilfe in ihrer Not. Da ließ Gott ihr über Nacht einen Bart wachsen, sodass ihr Bräutigam nun einen Abscheu vor ihr bekam und von ihr nichts mehr wissen wollte. Ihr darüber wütender Vater ließ sie kreuzigen und sie starb selig den Tod der Bekennerin des christlichen Glaubens.

Ihr Bild wurde nun als das einer Märtyrerin in den Kirchen aufgestellt. In eine dieser Kirchen kam eines Tages ein armer Spielmann, der zu ihr um Linderung seiner Not betete; er spielte ihr dabei rührende Weisen auf seiner Fidel vor. Da ließ sie einen ihrer goldenen Pantoffel ihm zu Füßen fallen; Er hob ihn auf und wollte ihn bei einem Goldschmied verwerten. Da wurde er des Kirchenraubes beschuldigt und sollte durch Henkershand sterben. Ehe er aber zur Richtstätte geschleppt wurde, bat er um die Gnade, nochmals vor dem Bild spielen zu dürfen. Dieser Bitte wurde willfahren. Als der Geiger vor dem Bilde spielte, ließ die Heilige nun auch noch ihren zweiten Pantoffel in seinen Schoß gleiten; so war seine Unschuld erwiesen und er wurde sofort auf freien Fuß gestellt. Die Heilige aber kam durch dieses Wunder zu hohem Ehren.“

 


Europäische Frauen- und Kulturgeschichte 

Im Kümmernis-Kult begegnet uns ein verdrängtes, aber höchst bedeutsames Kapitel europäischer Frauen- und Kulturgeschichte. Die „Frau am Kreuz“ gehörte zu den beliebtesten Heiliginnen der Neuzeit. Um 1400 berichten erste Zeugnisse von ihr als St. Wilgefortis. Diese Bezeichnung leitet sich vom Lateinischen „virgo fortis“ ab und bedeutet „starke Jungfrau“. Sie galt als Verkörperung jungfräulicher Kraft und Unabhängigkeit im matriarchal-kulturellem Sinne: als frei von patriarchal-christlichen Besitzansprüchen über das Leben und den Körper der Frau. 

Älteste Kultdokumente berichten, dass die Heilige über Jahrhunderte als eine Befreierin von allen Nöten der Seele, des Geistes und des Leibes verehrt wurde, wie Erni Kutter in ihrem Buch „Heilige Weibsbilder – gelehrt, eigenwillig, streitbar“ schildert. „Viele Frauen erkannten in der heiligen Kümmernis ihr eigenes Kreuz und setzten ihre Hoffnung auf eine Geschlechtsgenossin, die selbst zum Opfer männlicher Gewalt geworden war.“ Verehrungsorte der Wilgefortis verwandelten sich zu Orten subversiver Frauenkultur.  

Der Volksglaube und die Amtskirche 

Das Motiv des Geigers stammt aus den höfischen Traditionen des Mittelalters und wurde den Ursprungslegenden in späterer Zeit hinzugefügt. Schuhe sind eine alte Metapher für den weiblichen Schoß, für die Vulva. Bis heute gehört es zum regionalen Brauchtum, dass der Bräutigam bei einer Hochzeit aus dem Brautschuh Sekt trinkt. 

Im Mittelalter wurde der Bartwuchs einer Frau mit Zauberei in Verbindung gebracht. Als einen Ausdruck eines ekstatischen Zustandes haben ihn jene mystischen Gruppen betrachtet, in denen der Kümmernis-Kult entstanden ist. Auf die als „schwarze Magie“ von der Kirche gebrandmarkten, spirituell-schamanischen Praktiken stand die Todesstrafe. Darum musste die „starke Jungfrau“ sterben, denn die römische Amtskirche hatte ihre liebe Not mit dieser beliebten Beschützerin der Frauen, die nicht aus dem Volksglauben zu tilgen war. 

 


Dieser Beitrag ist im Februar 2025 auch im Magazin "Salzachbrücke", Salzburger Nachrichten - erschienen.

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