Die schönen Wasserfrauen tanzen im vollen Mondlichte

Von den andersweltlichen Verlockungen am Mattseer Wartstein 

Dort, wo die Wartstein-Felswand am schroffsten und der See am tiefsten, da befand sich einst ein Eingang in das Andersweltparadies in den Tiefen des Sees. Besonders zu Vollmond taten Menschen, die des nächstens am See trieben, gut darin, ihre Augen so lange zu schließen, bis ein Wölkchen das auf dem Wasser golden glänzende Mondlicht bedeckte. Im Lichte des vollen Mondes tanzten nämlich die schönen Wasserfrauen gerne ihren lüsternen Tanz. Auf Nimmerwiederkunft wäre Einer verloren, ließe er sich von diesen Tänzen mitverlocken und er erführe große Kümmernis, so schildert Herbert Handlechner in „Alte Geschichten und Sagen aus der Gegend um den Tannberg, Buchberg und Haunsberg“ eine Nixensage des Schriftstellers Anton Breitner aus dem Jahre 1883. 

Von der Liebe behext 

Droben auf dem Rücken des Wartsteins, da standen Tische und Bänke unter prächtig aufragenden Tannen und Buchen. Diese Waldschönen erfreuten sich daran, ihre Frucht runter in den glatten Wasserspiegel zu Füßen der markanten Erhebung zu werfen. Ein alter Kapellenbau über dem schroffen Felsen erinnert bis heute an den Einsiedler, der dort einstmals gehaust hat. Alles auf der Welt war ihm eitel Blendwerk, wie die Sage zu berichten weiß. Er gab sich zufrieden mit Wurzeln und Kräutern und war selig, seine Mitmenschen durch das Glöckleins Schall zu mahnen, ihren Herrgott nicht zu vergessen. 

 

Von der Liebe, die alles behext, ist in dieser Sage auch die Rede. Dieser Liebe ist letztendlich auch der Einsiedler vom Wartstein verfallen. Er saß einstmals vor seiner Klause und blickte hinunter in das Spiel der Wellen des Sees. Nicht lange sah er da hinab. Bald riss er sein Glöcklein so laut, dass die Felswand erzitterte, und er stürzte sich kopfüber vom Fels. Die Seerosen öffneten schnell ihre Kelche, fingen ihn auf und tauchten mit ihm tief hinab in den See. Nie wieder hat man ihn gesehen. 

Die „Magna Mater“ des Trumer Seenlandes 

Die Kapelle auf dem Wartstein ist der hl. Anna geweiht. Hinter der Heiligen steht eine frühe Göttin der jungsteinzeitlichen, matriarchal geprägten Mittelmeerkultur, die sich auf dem Weg über die großen Ströme auch nach Mitteleuropa hinein ausbreitete, „wie der Name des Flusses Donau (lat. Danuvius) zeigt, was „Aue/Fluss der Dana“ heißt“, so die Erläuterung von Heide Göttner-Abendroth in ihrem Buch „Berggöttinnen der Alpen“. Der Paläolinguist Richard Fester hat nachgewiesen, dass die Silbe „ana“ zu den Ursilben der Menschheit gehört. Sie kommt in vielen Sprachen vor und bezeichnet überall die Urmutter eines Volkes. „Ana“ ist die Magna Mater, die Große Mutter, deren Stelle im Volksglauben des späten Mittelalters die hl. Anna einnahm.  Eine ihrer vielfältigen Zuständigkeiten als katholische Heilige ist jene für Geburt und Tod. Sie gilt als Schutzheilige aller Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen. Zudem ist sie Sterbenden eine mächtige Helferin beim Übergang ins Jenseits. 

Zyklische Wiederkunft 

Ihrer zyklischen Seins-Macht, mit der sie als Todesgöttin allen Wesen auf der Erde Jahr für Jahr, Leben für Leben, den Tod bringt, konnte sich auch der Klausner auf dem Wartstein nicht entziehen. Als er seine Zeit als gekommen fühlte, folgte er ihrem verlockenden Wellen-Tanz im mondhellen Licht. Im matriarchal-schamanischen Wiedergeburtsglauben unserer Vorfahrinnen und Vorfahren verschwand jedoch niemand auf „Nimmerwiederkunft“ in der Anderswelt. Auch erfahren die in den Schoß der Erde zurückgekehrten Wesen und Seelen dort keine „große Kümmernis“, ganz im Gegenteil. Sie werden von der Großen Mutter in ihrem Unterweltparadies umsorgt und genährt, die sich in Gestalt der „Kümmernis“ voller Liebe um all ihre Kinder kümmert, damit sie im kommenden Frühling, im nächsten Leben, als Pflanzenwesen, in Gestalt der jungen Tiere und als Menschenkinder auf die Erde zurückkehren können.  

 


Dieser Beitrag ist im November 2024 auch im Magazin "Salzachbrücke", Salzburger Nachrichten - erschienen.

Möchtest Du mehr erfahren über die naturverbunden-jahreszeitliche und landschaftsmythologische Betrachtungsweise der alten Bräuche, der Landschaft, der Sagen und Mythen und des Kirchenjahres: 

Rituale im Jahreslauf - online und vor Ort in Nußdorf am Haunsberg. 

Landschaftsmythologische Wanderungen

Wildes-Weiba-Wandern

Lehrgang matriarchale Landschaftsmythologie  

Meinen Wildmohnfrau-Newsletter bestellen: www.wildmohnfrau.at

Meine bisherigen Beiträge für das Magazin "Salzachbrücke" nachlesen: Artikel Salzachbrücke

Wenn Dir meine Blog-Beiträge gefallen, sie für Dich einen Wert haben, so freue ich mich, wenn Du mich und mein Tun mit einem Wertschätzungsbeitrag unterstützt: 

Raiffeisenbank Flachgau-Nord IBAN: AT66 3503 0000 2603 0767 BIC: RVSAAT2S030 Paypal: re.fuchs@aon.at (Renate Fuchs-Haberl) 

DANKE! 

Persönliche Bitte: Anonyme Kommentare finde ich etwas irritierend. Ich kann anonyme Kommentare technisch nicht unterbinden, um Allen hier die Möglichkeit zum Kommentieren zu geben. Deshalb würde ich mich freuen, wenn Ihr zu Euren Kommentaren Euren Vor- und Nachnamen dazuschreibt, vielen Dank!

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Von „Hausdrachen“ und weiblichem Eigensinn

Brigid, Göttin des Lichts und des Neuanfangs

Urmutter Anna und das Wissen der Frauen - Die Ursprünge ihrer weitverbreiteten Verehrung und die Verbindung der Heiligen mit alten Frauenkultorten.