Pathologische Männerfixiertheit


Zum fünften Todestag von Udo Jürgens zur Wintersonnenwende teile ich heute Morgen auf facebook sein Lied „Der Mann ist das Problem“, gesungen 2014 bei seinem letzten Konzert in Zürich. Udo Jürgens bringt in diesem Lied die männlich-patriarchalen Tatsachen in bemerkenswerten Worten anschaulich auf den Punkt:

Wer hält sich für den Größten, seit sich diese Erde dreht
Wer spaltet die Atome, bis das ganze Land untergeht?
Wer rast wie ein Gestörter
Drängelt auf der Autobahn
Wer traut sich nicht zum Zahnarzt
Aber Kriege fängt er an?
Es ist der Mann
Ja, ja der Mann


Wer pocht auf seine Ehre und wer linkt zugleich den Staat
Wer geht in Freudenhäuser und erfand das Zölibat?
Wer spielt mit Handgranaten
Und wer steckt den Urwald an
Wer hält sein Auto sauber
Und verdreckt den Ozean?
Es ist der Mann
Ja, ja der Mann

Das ist nun mal die Wahrheit
Er ist der Fehler im System
Der Mann ist das Problem

Wer macht nicht nur in Fukushima einen Super-GAU
Wer hört schon aus Prinzip sowas von nicht auf seine Frau?
Wer ist ein Besserwisser
Und läuft Amok dann und wann
Wer verhandelt über Frieden
Und schafft sich neue Waffen an?
Es ist der Mann
Ja, ja der Mann

Ozonloch, Spionage und versiert im Drogendeal,
Ob Mafia, ob Camorra, wenn schon, dann im großen Stil
Primitive Stammtischwitze
Und akuter Größenwahn
Produziert er eine Ölpest
Sind die ander'n Schuld daran
So ist der Mann
Ja, ja der Mann

Das ist nun mal die Wahrheit
Er ist der Fehler im System
Der Mann ist das Problem

Er ist Diktator, Rambo, Bürokrat
Heiratsschwindler, Luftpirat
Treulos, vorlaut und auch noch bequem
Doch die Frauen lieben ihn trotzdem
Das ist nun mal die Wahrheit
Er ist der Fehler im System
Der Mann ist das Problem, ist das Problem

(Songwriter: Udo Juergens / Wolfgang Hoefer
Songtext von Der Mann ist das Problem © BMG Rights Management)



Es dauert nicht lange, bis von einer Frau der erste Kommentar dazu gepostet wird. Sie fühlt sich dazu berufen, folgenden Hinweis abgeben zu müssen: Ja, so ist sie, die männliche Energie, im unbewussten und untransformierten Zustand. Es gilt zu beachten, dass diese JEDEM von uns innewohnt, egal ob männlicher oder weiblicher Körper.“

Wenn diese „untransformierte, unbewusste männliche Energie“ JEDEM innewohnt, dann wohnt sie JEDER von uns also nicht inne. Sie führt ihre Aussage „egal, ob männlicher oder weiblicher Körper“ mit ihrer Wortwahl selbst ad absurdum.

Sie gibt mit ihrem Kommentar aber vor allem ein anschauliches Beispiel für ein weibliches Phänomen ab, welches im Patriarchat weit verbreitet ist: die pathologische Männerfixiertheit. Reflexartig werden von Frauen Argumente ins Spiel gebracht, welche die männliche Verantwortung im Patriarchat beschwichtigen, negieren und in denen sofort den vermeintlich „weiblichen Anteil“ daran hingewiesen wird.

Frauen definieren sich selbst und ihren Wert im Patriarchat stark aus der Sicht des Mannes. Deshalb ist es für Frauen bedrohlich, Gefahr zu laufen, von Männern als „Emanze“ und somit als „männerfeindlich“ abgestempelt zu werden, den damit werden die Ängste in uns Frauen aktiviert, vielleicht auch noch den letzten Rest der verbliebenen, männlichen Zuwendung und Aufmerksamkeit zu verlieren.

Deshalb lenken sie in ihren Worten sofort von dem ab, was doch eine patriarchal-gesellschaftliche Tatsache ist: all das, was Udo Jürgens in seinem Lied besingt, wird von Männern in Männerkörpern umgesetzt. Er bringt diesen gesellschaftlichen Zustand sehr anschaulich auf den Punkt. Er als Mann hat das genau erkannt und er hat es, kurz vor seinem Tode, auch so klar ausgesprochen, wie das Männer noch immer viel zu selten tun.

Doch kaum setzt ein Mann dazu an, seine Geschlechtsgenossen an ihre Verantwortung zu erinnern, fühlen sich Frauen dazu berufen, diesen patriarchal-gesellschaftlichen Prägungen und Sozialisierungen von Männern die Schärfe, Brisanz und Tragweite nehmen zu müssen, indem sie diese auf einen „unbewussten, untransformierten, energetischen Zustand“ reduzieren, welcher noch dazu auch allen Frauen innewohnen würde. Auffällig häufig wird die sogenannte „toxische Männlichkeit“ des Patriarchats mit diesem Satz, „dass alle Menschen aus männlichen und weiblichen Energien bestehen würden“, von Frauen in Schutz genommen. Wieso diese „Energie“ aber, wie wir tagtäglich in den Medien erfahren und selbst erleben, in einem so überwiegenden Maße nur bei Männern ausbricht, diese Antwort bleiben diese Frauen in ihren Kommentaren schuldig.

Dieser heutige Kommentar ist einer von vielen, die mir im Laufe der Jahre in unterschiedlichen Formulierungen, doch mit der immer selben Aussage, aus dem Munde von Frauen begegnet sind. Das Paradebeispiel, der Klassiker dafür ist der Hinweis auf „die Mütter, welche die Männer so erzogen hätten“. Wieder wird damit den Frauen die Schuld für die patriarchalen Strukturen gegeben, unter denen wir am meisten zu leiden haben und die grade Müttern all ihre mütterliche Seins-Macht genommen haben, um sie zu patriarchalen „Gebärerinnen seiner Söhne“ zu degradieren.

Es ist dringend an der Zeit, dass sich Frauen die Frage stellen, wem es nützt, dass Frauen über Jahrtausende im Patriarchat so geprägt und traumatisiert wurden, dass sie ihre Söhne als wichtiger erachten als ihre Töchter. Diese Frage sollten sich vor allem jene Frauen dringend stellen, welche gerne und schnell die „Keule der Schuldzuweisungen“ an die Mütter schwingen.

Solange Frauen als die „Soldatinnen des Patriarchats“ agieren, indem sie das patriarchale Tabu, dass männliche Täterschaft im Patriarchat nicht benannt werden darf, mit ihren Kommentaren und Formulierungen schützen, solange sie Frauen, welche die patriarchalen Strukturen und Muster klar und deutlich benennen, als „aggressiv“ und „männerfeindlich“ bezeichnen, solange Frauen von „Schuldzuweisungen“ an die Männer sprechen, die „nichts bringen würden“, wenn Frauen die patriarchalen Prägungen und Verhaltensweisen von Männern benennen, brauchen wir uns nicht wundern, dass Männer äußerst selten ihre Handlungsweisen hinterfragen, geschweige denn, die Verantwortung dafür übernehmen.

Mögen wir Frauen endlich in unsere Kraft gehen und zu erwachsenen Frauen werden, die keine Angst mehr haben vor dem Verlust der väterlich-männlichen Aufmerksamkeit und Zuwendung. Mögen wir dadurch endlich den Mut aufbringen, die frauen- und lebensverachtenden, patriarchalen Strukturen als solche zu erkennen und klar beim Namen zu nennen und mögen wir vor allem endlich damit aufhören, die Ursache und Schuld für all den patriarchalen Wahnsinn „auch“ bei uns Frauen finden zu wollen, um damit davon abzulenken, dass das Patriarchat, von Anbeginn an, eine Gesellschaft war und ist, welche auf männlicher Gewalt und Unterdrückung gegenüber Frauen basiert und aufbaut.

Mögen diese Erkenntnisse und der Mut in den Köpfen, Herzen und Seelen von uns Frauen wachsen und wachsen und sich im neuen Jahr immer mehr in ihre Kraft und Macht entfalten, wie dies auch das kleine Sonnenkind, welches heute Morgen aus dem Schoß ihrer kosmischen Mutter wiedergeboren wurde, nun wieder tun wird…




Willst Du mehr erfahren über mein frauenbewusstes und patriarchatskritisches Tun: www.wildmohnfrau.at



Kommentare

  1. So ist es, liebe Renate Fuchs- Haberl! Du hast es auf den Punkt gebracht! Udo Jürgens hat mit jeder Zeile recht - leider....!

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