Die „Inquisitions-Schranke“
„Das ist doch schon so lange her … es geht doch um die Zukunft und nicht
um die Vergangenheit … ich will mich damit nicht beschäftigen, weil da wird mir
ganz anders, wenn ich nur dran denke …“ Diese und ähnliche Sätze höre ich immer wieder aus dem Munde
von Frauen, wenn ich von meinem Walpurgis-Ritual erzähle, in welchem ich einen
Raum öffne für das Gedenken an die als sogenannte „Hexen“ ermordeten weisen Frauen.
Frauen, die sich für das Walpurgis-Ritual angemeldet haben, werden kurz davor
plötzlich krank oder sind aus verschiedensten Gründen auf einmal doch verhindert.
Oder möchten mit dem Feiern des Walpurgis-Rituals zumindest nicht nach außen, nicht
für die Öffentlichkeit sichtbar werden.
Wir Frauen haben die Erinnerung an
jene Zeiten, in denen wir durch Kirche, Staat und Wissenschaft als „Hexen“
dämonisiert und durch die Inquisition der katholischen Kirche verfolgt,
gefoltert und ermordet wurden, in unseren Zellen gespeichert. Sowohl das
kollektive Frauenfeld als auch das systemische Feld unserer Ahninnen ist
geprägt durch diese unvorstellbar grausamen Erlebnisse, denen Frauen über
Jahrhunderte ausgesetzt waren. Diese, meist unbewusste Angst vor Verfolgung
durch die Männer der Inquisition sitzt tief in den Seelen der Frauen.
Als meine Tochter Lisa 13 Jahre alt
ist, nehme ich sie und ihre beiden Geschwister im Rahmen meines
Matriarchats-Studiengangs das erste Mal zum Lithafest in die Akademie Hagia
mit. Obwohl sie am Morgen noch keinerlei Anzeichen zum Krankwerden zeigte,
bekommt sie auf Weghof, noch im Rahmen der Vorbesprechung des Festes, plötzlich
Fieber. Lisa kann das Fest nicht mitfeiern. Als wir am Abend im Gasthof
zusammensitzen, ist ihr Fieber wieder weg. Zwei Jahre später fährt Lisa wieder
mit zum Fest und wieder fahren wir gesund daheim los, um dann einige Stunden
später erleben zu müssen, wie Lisa noch während des Zusammenseins im
Frauenkreis zur Besprechung des Festes neuerlich Fieber bekommt.
„Mama, ich habe solche Angst, dass hier gleich Männer hereinkommen werden
und entdecken, was wir hier tun…“, diese Worte meiner damals 15jährigen Tochter machen ihr und
mir bewusst, wo die wirkliche Ursache für ihr Fieber zu finden ist. Lisa
beschließt, dabei zu bleiben, sich ihrer Angst zu stellen, gemeinsam mit mir durch
diese hindurch zu gehen. Sie muss den ganzen Nachmittag über immer wieder weinen,
geht durch intensiven Phasen, in denen die Angst, die Panik vor dem „entdeckt
werden“ aus ihr hochkommt. Heute, neun Jahre später, wird Lisa am Abend unser Walpurgis-Ritual gemeinsam mit mir leiten. Soeben hat die fünfte, für heute
Abend angemeldet gewesene Frau, abgesagt. „Weil ihr das Wetter zu
schlecht ist…“
Sich als Frau wieder mit unserer
erdverbundenen, spirituellen Kraft zu verbinden, berührt die „Inquisitions-Schranke“
in uns, wie Gertrude R. Croissier in ihrem Buch „Psychotherapie im Raum der
Göttin“ erläutert:
„Als Inquisitions-Schranke
bezeichne ich eine sowohl kollektiv als auch individuell errichtete innere
Barriere, welche Frauen und Männer von den höllischen Erinnerungen an die Zeit
der Inquisition trennt. Sie trennt die verbotene weiblich-magisch-mythische
Dimension vom Alltagsbewusstsein. Damit dämpft sie die Angst vor Verfolgung und
Tod, aber auch die Erinnerung an das heilerische Wissen der alten Tradition
bleibt hinter der Barriere gefangen. Die Schranke wurde errichtet aus den Abwehrvorgängen
von Verdrängung, Verleugnung und Abspaltung. Unsere gesamte westliche Kultur
und religiöse Tradition unterliegt dieser Abwehr.“
Diese Angstabwehr wird vor allem dann
aktiviert, wenn Frauen sich mit den Themen weiblicher Spiritualität und altem
Frauenwissen zu beschäftigen anfangen. Dann wird die alte Angst vor Verfolgung
und Tod wieder wach und genau an diesem Punkt stellt sich für Frauen die
entscheidende Frage, wie sie damit umgehen. Um diese Entscheidung bewusst treffen
zu können, muss uns die „Inquisitions-Schranke“ als solche jedoch erst einmal bekannt
sein.
Gertrude R. Croissier schreibt dazu,
dass diese Barriere der Angst für manche Frauen undurchdringlich erscheinen
kann: „Es braucht Zeit, manchmal lange Zeit, bis Frauen allmählich bereit sind,
ihrer verbotenen Wilden Frau, der inneren Hexe, zu begegnen, und das alte
Wissen nicht nur zu bedenken, sondern
sichtbar, hörbar und spürbar ins Leben zu bringen. Die Wilde Frau will sich verkörpern!“
Liebe Renate!
AntwortenLöschenHerzlichen Dank für diese interessante Ausführung!
Die Worte haben mich angesprochen und erschreckt zugleich.
Wie weit entfernt und überdeckt mit vielen Schichten ist diese
wilde Frau in mir, diese Urweiblichkeit? Danke für die Erinnerung an meine Sehnsucht danach!!!und Danke für die Bewußtmachung der damit zusammenhängenden ANGST!
Danke Dir für Deinen Mut, Dich in Deinem Kommentar zu zeigen, mit Deiner Angst, mit Deiner Sehnsucht ...
LöschenLiebe wilde Mohnfrau... als ich die Geschichte Deiner Tochter las, rannen mir die Tränen über die Wangen. Aus diesem selben Gefühl heraus mit fast den selben Worten Variante ich vor über 20 Jahren meine Heilpraktikerprüfung - gleich 3 mal! Diese Angst "entdeckt" zu werden versetzt mich heute noch in Starre und Hilflosigkeit. Nun weiß ich Dank Dir, daß ich nicht verrückt bin.... Habe an der Madonna in Acireale 3 Dankeskerzen angezündet. Für alle Frauen, die ihre Lähmung überwinden werden mit weiblicher Kraft! Danke Dir für diese wichtige Geschichte auf meinem Weg!
AntwortenLöschenLiebe wilde Mohnfrau... als ich die Geschichte Deiner Tochter las, rannen mir die Tränen über die Wangen. Aus diesem selben Gefühl heraus mit fast den selben Worten Variante ich vor über 20 Jahren meine Heilpraktikerprüfung - gleich 3 mal! Diese Angst "entdeckt" zu werden versetzt mich heute noch in Starre und Hilflosigkeit. Nun weiß ich Dank Dir, daß ich nicht verrückt bin.... Habe an der Madonna in Acireale 3 Dankeskerzen angezündet. Für alle Frauen, die ihre Lähmung überwinden werden mit weiblicher Kraft! Danke Dir für diese wichtige Geschichte auf meinem Weg!
AntwortenLöschenDanke Dir für das Schildern Deiner Erfahrung und das Entzünden der Kerzen für uns alle...
LöschenDer Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
AntwortenLöschenLiebe Renate,
AntwortenLöschenDanke für das Teilen dieses Themas & der Geschichte deiner Tochter! Dies hat mich gerade sehr bewegt, da ich es sehr gut kenne.
Vor 8 Jahren setzte ich im Zuge einer organisierten Veranstaltung zum Thema Gewalt gg. Frauen & Mädchen im öffentlichen Raum ein Statement. 2 Tage davor begann es & dieses Geschrei der Männer kam. Folgendes konnte ich sehen, hören und spüren: "Wir kommen & holen Euch. Wir zeigen Euch, wo Euer Platz ist." Dann sah ich immer einen Mob v. wütenden Männern, die auf uns einschlugen und uns mit Gewalt zusammentrieben.
Alles hatte sich unglaublich schrecklich angefüllt. Doch es war so heilsam, durchzugehen. Immer wieder kommt der Gedanke "Sie kommen & holen uns.", wenn es darum geht, im meiner Kraft zu stehen & mich in der Öffentlichkeit so zu zeigen wie ich bin. Jedoch habe ich begonnen, diese Energie Stück für Stück zu transformieren.
Danke, Renate
Danke Dir für Dein Vertrauen, Deine diesbezügliche Erfahrung mit uns zu teilen.
LöschenEs ist so wichtig, dass wir Frauen dadurch erkennen, dass wir mit diesen Ängsten und Erlebnissen nicht alleine sind und dass es vor allem möglich ist, diese durch das Annehmen und Hindurchgehen zu heilen.