EMMA oder "die Rückkehr des heiligen Zorns“


Beim Frühstücken heute Morgen hab ich die neue EMMA ausgepackt. Schon beim Lesen des Editorials „Abtreibung ist ein Menschenrecht!“ von Alice Schwarzer, steigen mir die Tränen hoch und ich spüre einen Kloss im Hals. Ich bin aufgewühlt und bewegt von dem, was ich lese. Weil es die Wahrheit ist, die nackte Wahrheit, die Alice Schwarzer hier ungeschminkt zum Thema macht. Wieder einmal. Denn es geht mir meist so, wenn ich die Beiträge in der EMMA lese: ich bin dankbar dafür, dass es Frauen wie Alice Schwarzer gibt, die mit einem unglaublich langem Atem unermüdlich daran festhalten, die elementaren Menschenrechte der Frauen für uns alle einzufordern. Die immer wieder den Mut und die Kraft aufbringen, sich dem patriarchalen Irrsinn entgegen zu stellen, dessen Strukturen und Machenschaften aufzuzeigen und Frauen eine Bühne, ein Gehör, eine Ausdrucksmöglichkeit zu geben, die nicht mehr bereit sind, sich ins patriarchale Weibchen-Schema pressen zu lassen, sondern selbstständig denken und gesellschaftskritisch handeln. 

Ich bin traurig und auch wütend, denn schon oft musste ich mir anhören, dass Alice Schwarzer und ihre EMMA den Frauen keine guten Dienste geleistet hätten. Dass die sogenannten „Emanzen“ die Frauen in die falsche Richtung gedrängt hätten, sie von ihrer vermeintlich „natürlichen Weiblichkeit“ fernhalten würden. Wenn ich nachfrage bei diesen Frauen und Männern, ob sie denn schon mal eine EMMA gelesen haben, dann höre ich immer ein Nein. Ich bin betroffen, wenn Frauen über „die Emanzen und Feministinnen“ schimpfen und auf keinen Fall „so eine sein wollen“, ohne sich Gedanken darüber zu machen, woher die Rechte und Möglichkeiten kommen, die für sie heute selbstverständlich scheinen. Wenn sie nicht erkennen wollen, auf welch unsicheren Beinen die Rechte von Frauen grade wieder stehen angesichts der frauenverachtenden Dreistigkeit von Regierungen wie der österreichischen. Wenn sie den Akteuren dieser konservativen Politik sogar noch Beifall zollen oder zumindest kritik- und tatenlos zuschauen, wie uns jene Errungenschaften wieder weggenommen werden, für welche ihre Mütter und Großmütter auf die Straße gegangen sind.

Im Editorial der neuen EMMA schreibt Alice Schwarzer über das Recht der Frauen auf Abtreibung und wie erschreckend die Entwicklung dazu in Deutschland ist. „Es ist noch nie darum gegangen, ob Frauen abtreiben – sondern nur darum, wie sie abtreiben.“ Dieser erste Satz trifft mich. Denn er spricht eine grundlegende Tatsache an: „Eine Frau, die ungewollt schwanger ist, treibt ab. Unter allen Umständen. Selbst bei Androhung der Todesstrafe, wie bei den Nazis. Warum? Sie tut es, weil sie um die Konsequenzen einer Mutterschaft weiß: Knapp zwei von drei der abtreibenden Frauen in Deutschland sind bereits Mütter…sie treibt ab, weil es ihr Körper und ihr Leben ist“, so Alice Schwarzer weiter. Deshalb geht es nur darum, wie eine Frau abtreibt – illegal, unter Gefährdung ihrer Gesundheit und ihres Lebens, oder legal, mit medizinisch-ärztlicher Betreuung.

Ja, auch ich würde abtreiben, wenn ich nochmals ungewollt schwanger werden würde. Diese Erkenntnis habe ich vor über zehn Jahren für mich getroffen. Als dreifache Mutter, deren Ehe sich gerade in der Auflösung befand. Wissend, was es bedeutet, als Frau im Patriarchat Kinder groß zu ziehen, vom Wohlwollen des Kindesvaters und von Vater Staat finanziell und sozial abhängig zu sein. Wobei meine Situation als alleinerziehende Mutter mit einem funktionierenden Familiennetzwerk und einer abbezahlten Wohnung im Vergleich zu der von vielen anderen Müttern als eindeutig rosig zu bezeichnen war.

Ich will in diesem Zusammenhang nichts von „sicherer Verhütung“ hören und dass „Abtreibungen in der heutigen Zeit doch nicht mehr sein müssten“. Auch ich als feministisch orientierte Frau finde Abtreibungen keinesfalls wünschens- und erstrebenswert. Doch was bedeutet „sichere Verhütung“ in der gelebten Realität: dass sich Frauen mit Hormonen vollpumpen müssen, dass Frauen ihre Gesundheit und vor allem auch ihre energetisch-seelisch-zyklische Ausgewogenheit aufs Spiel setzen müssen, um „sicher zu verhüten“. Wieder liegt die Verantwortung alleine bei den Frauen und wollen sie das so nicht mehr, dann bewegt sich das Thema Verhütung schnell in ziemlich unsichere Gefilde, da brauchen wir uns nichts vormachen.

In den USA haben seit den 1980er Jahren die selbsternannten „Lebensschützer“ vier Ärzte und sieben MitarbeiterInnen von Abtreibungskliniken ermordet. Auf ihr Konto gehen ein Dutzend weiterer Mordversuche, hunderte Säureattacken, Körperverletzungen sowie Bomben- und Brandattentate auf Abtreibungs-Klinken, so die Informationen im EMMA-Dossier zum Thema „Abtreibung“. Wenn die Zustände in Deutschland und Österreich auch noch nicht so krass sind, so versuchen diese christlichen Fundamentalisten doch immer mehr, auch hier, mit zunehmendem Erfolg, Ärztinnen und Ärzte einzuschüchtern, die Abtreibungen durchführen.

„Lebensschützer“, die sich anmaßen, erwachsene Menschen umbringen zu dürfen, die Frauen vor Abtreibungs-Kliniken bedrohen, die ihnen ihre Bestätigungen, dass sie abtreiben dürfen, zerreißen. Das ist gelebtes Patriarchat pur! Frauen ohne Rechte auf Selbstbestimmung über ihren Körper und ihr Leben. Frauen, die eingeschüchtert werden, denen ein schlechtes Gewissen gemacht wird, deren Körper auch weiterhin als Gebärmaschine für „die Kinder des Mannes“ dienen soll. Welche Vater Staat dann, wenn er es als „nötig“ erachtet, millionenfach auf den Schlachtfeldern als „Helden“ opfert. Und wo sind sie, die christlichen „Lebensschützer“, wenn dieses ungeborene Leben das Pech hat, im schwangeren Leib einer afrikanischen Mutter heranzuwachsen, die aufgrund der jahrhundertelangen Ausbeutung ihrer Heimat durch den weißen, europäischen Mann dort keine Zukunft mehr hat und sich auf den Weg macht übers Mittelmeer?

Die Natur, oder soll ich sagen „Gott“, löscht am Anfang einer Schwangerschaft viele von diesen "natürlicherweise" wieder aus. Fehlgeburtsraten in den ersten Schwangerschaftswochen von 25 bis 50 % werden in Fachkreisen genannt. Wie kann „ihr Gott“ so eine hohe Fehlgeburtsrate „erlauben“, wenn das menschliche Leben doch von Anbeginn an als „absolut schützenswert“ zu betrachten ist?! Auch aus meinem Bauch haben sich zweimal Föten verabschiedet. Soll ich Gott oder wer auch immer dafür verantwortlich gemacht werden könnte, deshalb als „Mörder“ bezichtigen, wie dies mit Frauen geschieht, die sich für eine Abtreibung entscheiden.

„Nach deutschem Recht gehört der Körper der Schwangeren nicht ihr, sondern dem Fötus“, so Alice Schwarzer weiter. „Auch nach 1995 bleibt Abtreibung eine Straftat und ist die Schwangere zum Austragen verpflichtet.“ Welch eine Entmündigung, welch eine Bevormundung, die da mit uns Frauen bis heute ganz gezielt betrieben wird!

Es ist der „heilige Zorn der Percht“, der in mir hochsteigt, wenn ich das lese. „Ihr Frauen müsst endlich wieder zornig werden angesichts all dessen, was sich das Patriarchat da mit euch erlaubt!“, so dringt ihre Botschaft unüberhörbar in mein Bewusstsein.

„Zornig sein“, nicht gerade ein emotionaler Zustand, nach dem Frauen sich sehnen würden, der als erstrebenswert angesehen wird oder als weiblich definiert wäre. Auch ich denke mir im ersten Moment, ich kann den Frauen doch nicht einfach sagen: „Seid zornig!“. Dann hab ich Mister Google befragt, was er mir zur Definition von Zorn zu bieten hat und siehe da: „heftiger, leidenschaftlicher Unwille über etwas als Unrecht Empfundenes, dem eigenen Willen Zuwiderlaufendes“.

Das ist doch genau das, was wir Frauen endlich wieder entwickeln müssen in diesem patriarchalen Wahnsinn, den wir grade durchleben! Das ist doch genau das, was in uns Frauen endlich wieder erwachen muss angesichts dessen, wieviel Unrecht uns durch das Patriarchat nach wie vor weltweit angetan wird! Das ist genau das, was wir brauchen, damit wir all dem endlich gemeinsam Einhalt gebieten, was unserem eigenen Willen und vor allem einem friedlichen Leben auf der Erde zuwiderläuft!

Zornig zu sein, im positiven, konstruktiven, selbstermächtigenden Sinne! Zornig zu sein, überall dort, wo es angebracht und nötig ist! Zornig zu sein, anstatt sich depressiv und chronisch unzufrieden durchs Leben zu schleppen. Das ist der „heilige Zorn der Göttin“, geschöpft aus der Kraft des weiblichen Bauches, gelebt aus der feurigen Kraft des Herzens.

Staunend sitze ich vor dem, wohin mich diese Beklemmung geführt hat, die ich empfunden habe angesichts der Tatsachen, die Alice Schwarzer und ihr Team in der neuen EMMA, wieder einmal, klar und schonungslos benennen. Die nichts beschwichtigen und schön reden, sondern klipp und klar auf den Punkt bringen, was Fakt und tägliche Realität ist in unserer patriarchalen Welt.

„Zu radikal“ erscheint Alice Schwarzer manchen. Sie pflegen lieber einen „Weichspül-Feminismus“, in dem das Patriarchat mit „Schonprogramm“ behandelt wird. Unsere Großmütter wussten noch, dass es bei hartnäckigen Flecken ohne Kochwäsche nicht geht. Beständig umgerührt wurde in den alten Waschkesseln, kräftig geschrubbt mit harten Bürsten. „Viel zu mühsam, nicht mehr nötig“, so erscheinen uns diese Vorgänge heutzutage. Bis die „braunen Flecken“ nicht mehr zu übersehen sind…

Alice Schwarzer und ihre EMMAs durchleuchten die patriarchalen Geschlechterrollen, sie beschreiben die bittere Wahrheit, was Frau sein in der heutigen Zeit immer noch und grade wieder, bedeutet. Dieses Erkennen und Benennen ist entscheidend, damit wir, Schritt für Schritt, die patriarchalen Strukturen durchschauen und verlassen können. Sie schenken Heft für Heft aber auch Hoffnung, indem sie aufzeigen, wie viele Frauen sich weltweit in den unterschiedlichsten Bereichen und Initiativen, einzeln oder gemeinsam, für die Rechte und Belange von Frauen engagieren.

Darum kann ich nur sagen: macht Euch selbst ein Bild von der EMMA und folgt nicht den Vorurteilen anderer Menschen. Abonniert sie, denn auch die EMMA kämpft, wie alle gedruckten Medien, ums finanzielle Überleben und ein Abo bringt EMMA fast die doppelte Einnahme wie ein Kauf am Kiosk. Vor allem aber: lest sie!

Erlaubt, dass sie Heft für Heft, Artikel für Artikel, die „kollektive, patriarchale Hypnose“ zum Schwinden bringt, die uns zu suggerieren versucht, dass „wir Feminismus nicht mehr brauchen würden, weil die Frauen ja schon so gleichberechtigt wären“. „Aufzuwachen“ bedeutet so viel mehr, als "in Licht und Liebe gehüllt durch das Leben zu schweben" und "mit verklärtem Blick in die geistigen Welten" das alltägliche Geschehen nicht wahrnehmen zu wollen.

Empören wir uns gemeinsam über Prostitution und Sexismus! Lassen wir uns anstecken vom Mut der iranischen Frauen, die unter Lebensgefahr ihre Kopftücher abnehmen, ihr Gesicht zeigen und ihre Stimme erheben! Tragen wir das Patriarchat gemeinsam zu Grabe! MAKE FEMINISM GREAT AGAIN!

Auch die oya darf ich Euch auf diesem Wege ans Herz legen. Und abonniert den FALTER und auch an.schläge, das österreichische, feministische Magazin, dem gerade, wie so vielen Fraueneinrichtungen, die gesamten Fördergelder gestrichen wurden. Meldet Euch für den Blog der STÖRENFRIEDAS an und auch für die MUTTERLANDBRIEFE





(Das hier ist keine ungekennzeichnete Schleichwerbung. Ich bezahle für alle Abos der hier empfohlenen Zeitschriften und ich empfehle sie Euch, weil es mir ein Anliegen ist, dass es sie auch in Zukunft geben wird.)

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