Der Feldzug gegen das „magische“ Weltbild

Am Beginn des Kapitalismus stand der patriarchal-christliche Feldzug gegen das „magische“ Weltbild, landläufig als "Hexenverfolgung" bezeichnet. Von den Kirchenmännern wurde bestimmt, was der "richtige Glaube" wäre und was fortan unter "Aberglaube" fiel. Die Vertreterinnen und Vertreter des alten, magischen Weltbildes wurden als "Hexen und Zauberer" diffamiert und verfolgt. Sie waren schuld an Unwettern und Seuchen, kranken Kühen im Stall, totgeborenen Kindern, für die Missernten auf den Feldern …

Von den Staatsmännern wurde die weibliche Kontrolle über ihren Körper kriminalisiert. Es fand eine Enteignung des von Frauengeneration zu Frauengeneration weitergereichten Heil-, Geburts-, Verhütungs- und Abtreibungswissen statt. Die Macht der Frauen, die sie im Mittelalter noch besaßen, musste zerschlagen werde, damit der Kapitalismus sich entwickeln konnte. Die „Hexenverfolgung“ zerstörte eine Welt von weiblich-magisch-spirituell-schamanischen Praktiken und Wissenssystemen, welche im vorkapitalistischen Europa die Grundlage der weiblichen Macht und Selbstbestimmung gewesen waren.

„Die Ausmerzung dieser Praktiken war eine notwendige Vorbedingung der kapitalistischen Rationalisierungen der Arbeit“, so Silvia Federici in ihrem Buch „Caliban und die Hexe“. „Die Magie tötet die Industrie“, so klagte der englische Philosoph und Jurist Francis Bacon im 17. Jahrhundert. Der Materialist Hobbes fügte hinzu, dass die Menschen, wenn dieser Aberglaube einmal ausgemerzt sein sollte, „viel eher zum bürgerlichen Gehorsam geeignet sein würden“.

„Ihre Unvereinbarkeit mit der kapitalistischen Arbeitsdisziplin und den Erfordernissen sozialer Kontrolle ist einer der Gründe, weshalb der Staat eine Terrorkampagne gegen die Magie lancierte. Der Terror stieß auf die uneingeschränkte Zustimmung vieler, die heute als Begründer des wissenschaftlichen Rationalismus gelten.“, so Silvia Federici weiter. 

 

Im Leitartikel der Salzburger Nachrichten vom 20. November 2021 klingt dies aus der Feder von Manfred Perterer dann so: „In Österreich herrscht eine ausgeprägte Skepsis gegenüber der Wissenschaft. Und davon ist auch die Schulmedizin betroffen. Wir haben es zugelassen und sogar gefördert, dass Mistelzweig-Therapeuten Hochkonjunktur erleben oder dass angebliche Heiler, Handaufleger und Hassprediger gegen die moderne Forschung und Pharmakologie salonfähig werden. Diesem pseudoreligiösen Zug zur Alternativmedizin entspringt ein guter Teil der ausgeprägten Stimmung gegen das Impfen. Die Aufklärung über rationales Denken und Handeln muss bereits in der Schule Platz haben. Esoterisch angehauchte Schulmodelle müssen streng auf ihre Gesellschaftsverträglichkeit überprüft werden.“

Die Auflösungsphase des Kapitalismus

Aktuell er- und durchleben wir die beginnende Zerfalls- und Auflösungsphase des Kapitalismus in seiner neoliberalen Gestalt. Wieder werden Schuldige gesucht. Für das im Kapitalismus kaputt gesparte Gesundheitssystem, für die zusammenbrechende Wachstums-Wirtschaft, für die eigene Angst vor dem Tod...

Wieder gibt es einen „richtigen Glauben“ und alle, die nicht bereit sind, diesem widerspruchslos zu folgen, werden als „Anhängerinnen und Anhänger des Aberglaubens“ für „alles“ verantwortlich gemacht. Ursula Spannberger, Architektin, Mediatorin und Moderatorin aus Salzburg schreibt dazu in ihrem Facebook-Beitrag vom 21. November 2021: „Jemand, wie Prof. Johannes Huber, der auf Basis seiner katholisch verankerten Gottgläubigkeit über die reale Existenz der Seele schreibt, wird gepriesen und bleibt als Wissenschafter anerkannt, aber andere Formen der Spiritualität und des (noch) nicht wissenschaftlich Bewiesenen werden ins Lächerliche gezogen.“

Auch das ist nicht neu. Wurden die alten, „magischen“ Rituale von Kirchenmännern „Im Zeichen des Kreuzes“ oder „Im Namen der Gottesmutter Maria“ durchgeführt, so waren diese im Christentum weiterhin erlaubt und brachten viel Geld in die Kassen der Kirchen. Vollzogen dieselben Rituale die dem alten Göttin- und Naturglauben verbundenen Schamaninnen und Heilerinnen, landeten sie als „Hexen“ auf den Scheiterhaufen der Neuzeit.

So wie er in der Phase des Frühkapitalismus von Kirche, Staat und Wissenschaft vollzogen wurde, so erleben wir diesen Feldzug gegen das „magische“ Weltbild nun neuerlich in der Phase des Spätkapitalismus. Wieder werden komplementäre Heilmethoden und spirituelle Ansätze mit Spott und Häme überzogen. Die Position der Kirche haben dabei nun die Medien und social Media übernommen. Blindes Vertrauen in eine Wissenschaft wird erwartet, deren finanzielle Verflechtungen mit den Geldgebern der Pharmaindustrie längst kein Geheimnis mehr sind. „Noch mehr Rationalität“ wird von Journalisten gefordert.

Das „magische“ Weltbild

Die „Magie“ beruht auf der Wahrnehmung, dass die Welt beseelt ist, dass allen Dingen eine Kraft innewohnt, dass alles miteinander in Verbindung steht. Am Beginn des Kapitalismus musste diese Welt „entzaubert“ werden, um sie beherrschen zu können und zur ausbeutbaren Ressource zu machen. In jenem Jahrhundert, in dem die neuzeitliche Wissenschaft geboren wurde und welches die Entwicklung des philosophischen und wissenschaftlichen Rationalismus (allein das rationale Denken wird als Erkenntnisquelle zugelassen) mit sich brachte, stimmte die intellektuelle Elite Europas, bestehend aus Staatsmännern, Philosophen, Wissenschaftlern, Theologen, Richtern und Rechtsanwälten darin überein, dass es sich bei den „magischen“ Praktiken um das „abscheulichste Verbrechen“ handelt und sie riefen nach Bestrafung. Würde ich als spirituelle Frau, nicht einmal vier Jahrhunderte später, nun deren Nachfolgern plötzlich mein unkritisches, blindes Vertrauen schenken, so müsste ich mir zur Recht den Vorwurf gefallen lassen, dass ich aus der Geschichte nichts gelernt habe.

Dieser patriarchal-kapitalistisch-wissenschaftliche Kampf gegen das magisch-spirituelle Weltbild, der die erste Phase der kapitalistischen Entwicklung auszeichnet, hält in verschiedenen Formen bis in die heutige Zeit an. Wir erleben Tag für Tag, wie der auf „rationalen Prinzipien“ aufgebaute Kapitalismus in jener Phase der Globalisierung, die wir heute erleben, zur eigenen Profit- und Machtmaximierung darin fortfährt, das Leben in jedem Winkel des Planten weiter auszubeuten und zu verwüsten. Trotzdem wird von Medienvertretern genau dieser Rationalismus als vermeintliche Lösung der gegenwärtigen Situation propagiert und alternative Heilmethoden bestenfalls der Lächerlichkeit preisgegeben. Viele wollen zurück zum „alten Leben“, doch das wird nicht funktionieren, denn wir brauchen einen gesellschaftlichen Wandel. Wir brauchen diesen auf wirtschaftlicher, sozialer und politischer Ebene. Und wir brauchen ihn vor allem auch in spiritueller Hinsicht.

Die Spiritualität als Boden von allem

In matriarchalen Kulturen ist die Spiritualität der Boden, die Basis von allem. Die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen bauen darauf auf. Die vorchristlichen Kulturen verehrten die Erde als ihre Mutter. Alle Pflanzen und Tiere, alle anderen Menschen waren somit ihre Schwestern und Brüder und entsprechend verbunden fühlten sie sich mit ihnen. Immer mehr Menschen wenden sich in der heutigen Zeit wieder diesem „magischen“ Weltbild zu. Sie hinterfragen die kapitalistische Wachstums-Wirtschaft und sie hinterfragen auch die von patriarchalen Prinzipien geprägte und bestimmte Wissenschaft. Noch scheint das patriarchale „teile und herrsche!“ zu funktionieren, trotzdem sind die Auflösungstendenzen der patriarchalen Welt unübersehbar.

Damit etwas Neues entstehen kann, muss sich das Alte auflösen. Es muss zerfallen und sich zersetzen, es muss sterben, denn nur daraus kann Verwandlung geschehen. In dieser Phase des Zerfallens des patriarchalen Systems befinden wir uns. Mit aller Vehemenz und den zur Verfügung stehenden Machtinstrumenten versucht es, die alten Strukturen doch noch aufrecht erhalten zu können. Ein winzig kleiner Virus führt uns all das schonungslos vor Augen, wovor wir unseren Blick bisher noch zu verschließen versucht hatten. Wie fragil die weltumspannenden Lieferketten sind, wie abhängig sich ein Kontinent wie Europa von Ressourcen aus fernen Ländern gemacht hat. Wie fatal es ist, das Geld in internationale Finanzströme, anstatt in die regionale Care-Arbeit zu investieren. Wie wenig kontrollierbar unser Leben letztendlich ist – trotz aller Technik und Wissenschaftlichkeit.

So wie jedes Erdenjahr die Sterbephase des Herbstes und die Ruhe- und Transformationsphase des Winters durchlaufen muss, damit die Welt im Frühling neu auferstehen kann, so sind wir als Gesellschaft durch Corona in eine intensive Herbstphase eingetreten. Lange Zeit dachten wir, uns dieser verweigern, entziehen, ihr entgehen zu können. Doch die alte Göttin kehrt zurück. Schritt für Schritt setzt sie ihren Fuß hinein in die patriarchalen Felder, löst darin Chaos, ungläubiges Staunen und heftige Gegenwehr aus. Schicht für Schicht holt sie die „Leichen aus den patriarchalen Kellern“ ans Tageslicht und die alten Ängste und Traumen aus den Seelen der Menschen. Mögen wir die Verantwortung dafür wieder in unsere Hände nehmen und das Potential zur Heilung und Verwandlung mehr und mehr wahrnehmen und erkennen.

Mehr erfahren über die Hintergründe und Zusammenhänge rund um die sogenannten "Hexenverfolgungen": Online-Vortrag "Von den weisen Frauen" - Hebammen, Schamaninnen und Heilerinnen als die "Hexen der Neuzeit"

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DANKE!

Kommentare

  1. Liebe Renate,

    danke für diesen Artikel. Die derzeitige Schwarz-Weiß-Malerei lässt nur mehr "gute Wissenschaft" und "böse Alternativmedizin" zu.

    Längst haben wir vergessen, dass eigentlich jede Medizin Kräutermedizin ist. Das allererste Medikament war Aspirin und wurde aus Weidenrinde gemacht. Chemie muss auch mit Stoffen aus der Natur arbeiten. Was anderes haben wir nicht. (Dass es sinnvoller ist, die ganze Pflanze zu nehmen, als nur einen Teil davon, ist ein anderes Thema.) Gerade die Pharma-Industrie bedient sich ja in großzügig in der Natur und arbeitet mit allen Mitteln (Patente auf Pflanzen und deren Bestandteile etc...).

    Und diese Spaltung macht es so schwer, auf die eigentlichen Themen zu schauen, die diskutiert werden müssten: Milliardengewinne der Pharmaunternehmen seit Pandemiebeginn. Vergesellschaftung von Kosten (Staaten haben die Entwicklung von Impfungen und Medikamenten mit hohen Beträgen gefördert) und Privatisierung der Gewinne (die Aktienkurse erreichen neue Höhen).

    Und dazu noch das unbedingte Festhalten an Patentrechten. Ärmeren Ländern wird es verweigert, Impfungen und Medikamente selbst herzustellen, reiche Länder haben Knebelverträge und müssen überzählige Impfdosen vernichten anstatt sie zu spenden.

    Diese Arroganz gegenüber allem Lebenden ist grenzenlos.

    Ich wäre gerne bei Deinem Vortrag dabei, leider passt der Termin nicht - denkst Du an eine Wiederholung oder Fortsetzung?

    Herzliche Grüße
    Astrid

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    1. Liebe Astrid,
      hab vielen herzlichen Dank für Deine bestärkenden Worte zu meinem Blog-Artikel.
      Ja, all die Beispiele, die Du schilderst, beschreiben die patriarchale Arroganz gegenüber dem Lebendigen in anschaulicher Art und Weise. Deshalb ist es mir so ein Herzensanliegen, all das zu benennen und aufzuzeigen, damit durch das Erkennen Wandlung möglich werden kann.
      Meinen "Hexen"-Vortrag biete ich das nächste Mal im April wieder online an.
      Herzliche Grüße zu Dir,
      Renate

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