„Die weiblich-mütterliche und die kindheitliche Dimension im individuellen Leben und im Laufe der Menschheitsgeschichte“


Unter diesem Motto fand im April 2019 die 33. Jahrestagung der Gesellschaft für Psychohistorie und politische Psychologie (GPPP) in Heidelberg statt. Ludwig Janus, wissenschaftlicher Leiter und Organisator der Tagung, beschrieb die GPPP und die Moderne Matriarchatsforschung in seiner Eröffnungsrede als „Biotope, die nichts voneinander wissen…“ Damit sich dieser, für beide Seiten nicht förderliche Umstand, verändern kann, war mit Claudia von Werlhof erstmals eine Referentin aus dem Forschungsgebiet „Kritische Patriarchatsforschung – Moderne Matriarchatsforschung“ zur Tagung eingeladen und einige von uns „Hagia-Matriarchatsfrauen“ haben sich mit Neugierde und Interesse ebenfalls auf den Weg nach Heidelberg gemacht. 


Renate Fuchs-Haberl, Barbara Pade, Gisela Lässig, Claudia Lodders, Claudia von Werlhof

 „Die Psychohistorie kann“, wie dem Flyer zur Tagung zu entnehmen ist, „heute die Dynamik und die Grundlinien der Mentalitätsentwicklung im Laufe der Geschichte beschreiben, weil sie die Geschichte der Kindheit als eigenständige geschichtliche Kraft mit einbezieht. Insofern ein typisches Muster im Verhalten Erwachsener einer Gesellschaft darin besteht, das in der Kindheit Erfahrene in ihrem Leben zu reinszenieren, sind die Sozialisationsbedingungen der Kinder eine Wurzel des gesellschaftlichen Geschehens.“ - eine Tatsache, die ich aus meiner persönlichen Erfahrung voll und ganz unterstreichen kann.

Mit Interesse verfolgte ich deshalb die Ausführungen der Referentinnen und Referenten zu dieser Thematik, um aus psychologischer Perspektive mehr zu erfahren, welche Auswirkungen und Folge es hat, dass Kinder und Mütter im Patriarchat seit einigen Jahrtausenden unter massiver, psychischer und körperlicher Gewalt zu leiden haben. Die Forschungsergebnisse der Psychohistorie machen von psychologischer Seite erklärbar, weshalb es matriarchalen Menschen zum Beispiel möglich ist, ihre Liebesbeziehungen ohne Eifersucht zu leben, diese ohne Besitzdenken gegenüber einem anderen Menschen und vor allem ohne Gewalt zu gestalten, denn wer in der Kindheit eine sichere Bindung im „mütterlichen Schoß“, sei es jener der leiblichen Mutter als auch jener des mütterlichen Clans, erfahren hat und in diesem das ganze weiter Leben hindurch eingebettet bleibt, muss sich im Erwachsenenalter nicht symbiotisch an einen Partner, eine Partnerin klammern.

Die matriarchale Gesellschaftsstruktur, die ein friedliches Zusammenleben der Menschen sicherstellt, schließt somit all jene frühkindlichen Traumatisierungen aus, welche von der GPPP im Rahmen unserer patriarchalen Gegenwart und Vergangenheit erforscht und analysiert werden. Deshalb erachte ich als Referentin für Moderne Matriarchatsforschung die dahingehenden Erkenntnisse der GPPP als bereichernd und wichtig, denn sie unterstreichen, auch wenn ihnen dies bisher vermutlich nicht bewusst war, die Bedeutsamkeit der matriarchalen Kulturen als Vorbilder für unsere heutige Zeit.

Die GPPP liefert uns weiters Erkenntnisse darüber, weshalb es für uns so schwierig ist, die patriarchalen Muster und Prägungen erkennen und verlassen zu können. Vor allem aber ist damit wissenschaftlich erklär- und belegbar, weshalb Frauen in psychischer und kollektiver Hinsicht so traumatisiert sind. „Frauen nicht von Natur aus so sind“, sondern über die Jahrhunderte vom Patriarchat so „zugerichtet“ wurden.

So interessant und wichtig ich die Erkenntnisse der Psychohistorie bezüglich des individuellen Lebens erachte, so kritisch betrachte ich ihre davon abgeleiteten Rückschlüsse für die gesellschaftliche Ebene. Denn es greift zu kurz und wird den tatsächlichen, gesellschaftlichen Ereignissen nicht gerecht, die Entstehung matriarchaler Kulturen, ihre Bedeutsamkeit und die Gründe für ihre Zerstörung nur aus psychologischen Mustern heraus begründen und erklären zu wollen.
 
Die Psychohistorie folgt der Stufentheorie von Johann Jakob Bachofen, der mit seinem Werk „Das Mutterrecht“, erschienen 1861, zum Begründer des kulturhistorischen Zweiges der traditionellen Matriarchatsforschung wurde und von Henry Lewis Morgan, dem Begründer der Ethnologie.

Bachofen stellte klar, dass das „Mutterrecht“ nicht nur einzelnen Völkern zugerechnet werden könne, sondern eine frühere Kulturstufe gewesen ist. So bedeutsam diese Forschungen von Bachofen sind, so problematisch sind seine Deutungen dazu, vor allem hinsichtlich des „Wesens der Frau“ und die von ihm entwickelte Stufentheorie, zu deren Beginn die „Sumpfzeugung“ gestanden hätte. Nach seiner Auffassung brachten erst die Männer in weiterer Folge „das Licht des Geistes“ in die Welt, nüchtern betrachtet: den Krieg! Er hatte mit seiner Theorie, was nicht verwunderlich ist, einen Bombenerfolg bei den patriarchalen Männern seiner Zeit.

Trotz seines Verdienstes, der Entdecker des Matriarchats zu sein, haben seine Forschungen eine bis heute fatale Konsequenz. Heide Göttner-Abendroth schreibt hinsichtlich seiner „geschichtslosen Geschichtsschreibung“ in ihrem Buch „Das Matriarchat I – Geschichte seiner Erforschung“ Folgendes:

„Sie hat nachhaltig das öffentliche Bewusstsein zur Frage des Matriarchats geprägt. Die von ihm aufgebrachten Klischees halten sich zäh, da die Gebildeten – falls Matriarchatsforschung sie interessiert – meist keinen anderen Autor kennen als Bachofen. So hält sich die Meinung, dass Matriarchate dumpf in sich kreisende, bewegungslos auf der Scholle hockende Müttervereine gewesen seien, die ihrer Erlösung durch Geisteshelle und Individuationsprinzip des Patriarchats dringend bedurften. Daraus ergibt sich von selbst die Notwendigkeit und Höherwertigkeit des Patriarchats, wie es in Diskussionen besonders von Männern vertreten wird. Und Frauen können in einem solchen Zerrbild natürlich keine Lernmöglichkeit für ihre heutige prekäre Situation entdecken. Die Ethnologie hat dem noch die Krone aufgesetzt, indem sie erklärte, Bachofen habe zwar die Matrilinearität (die mütterliche Erbfolge) entdeckt, aber Matriarchate gäbe es nirgends. In der Tat, diese Art von Matriarchat, die Bachofen beschreibt, hat es nirgends gegeben!“

Somit sind wir bei der Ethnologie und deren Begründer, Henry Lewis Morgan gelandet. Er hat sein Werk „Die Urgesellschaft“ 1891 vorgestellt. Auch er folgt der Stufentheorie, nach welcher sich die Geschichte ebenso unentwegt verbessert wie bei Bachofen und die „christliche Monogamie“ ist die höchste, gesellschaftliche Errungenschaft. Er rechtfertigt damit den Status Quo im 19. Jahrhundert. Deshalb ist diese damalige Form der traditionellen, matriarchalen Forschung so problematisch, weil sie nur die damalige Gesellschaftsform noch weiter bestätigt hat.

Morgan schreibt von drei großen Entwicklungsstufen: die „Wildheit“ (Altsteinzeit), die „Barbarei“ (Jungsteinzeit) und die der „Zivilisation“, in der wir seither leben. Über ein Jahrhundert lang wurde die Diskussion zu „Mutterrecht“ und „Matriarchat“ ausschließlich aus der Perspektive von Männern fortgeführt. Doch trotz guter Materialsammlung an sich, kam es all die Zeit zu keiner wissenschaftlichen Definition dieses Wissensbereiches. Der Begriff „Matriarchat“ blieb verschwommen, so dass die verschiedensten Interpretationen und Ideologien hineinprojiziert werden konnten. Ein großes Problem dabei war die Rückprojektion der bürgerlich-patriarchalen Verhältnisse in die frühere Kulturgeschichte.

Heide Göttner-Abendroth schreibt dazu: „Der eigentliche Grund, weshalb es hier eine Art Denkblockade gibt, die genaue Untersuchungen verhindert, ist einfach: Wenn Morgans und Bachofens erste Funde und alles, was danach ans Licht kam, ernst genommen worden wären, hätte das den Zusammenbruch der patriarchalen Ideologie und des patriarchalen Weltbildes bedeutet. Darum wurde eine unvoreingenommene und wissenschaftlich ehrliche Matriarchatsforschung nicht geleistet und das Thema tabuisiert.“ („Am Anfang die Mütter“, Seite 12)

Wenn sich die Gesellschaft immer weiter verbessert hätte, dann müssten wir heute in der „besten aller bisherigen Welten“ leben. Diese Sichtweise der Stufentheorie straft der aktuelle Zustand der Erde, der Natur und auch der Gesellschaften weltweit mit all ihren Kriegen, Umweltzerstörungen und eben auch all die massiven Traumatisierungen, unter denen die gesamte Menschheit inzwischen leidet, eindeutig Lügen. All das gab und gibt es in matriarchalen Kulturen nicht.

Die Psychohistorie setzt die matriarchale Kulturepoche mit der „magisch-mystischen Phase“ in der Entwicklung des Kleinkindes gleich. Ludwig Janus dazu: „In magisch-mystischer Welt hätte man die Beobachtungsgabe nicht gehabt, um wie Kolumbus nach Amerika zu fahren.“  

Die matriarchale Kultur war nicht „unreif“ wie ein kleines Kind, sondern war und ist unserer heutigen, patriarchalen Welt hinsichtlich der gesellschaftlichen Strukturen weit überlegen. Matriarchale Kulturen waren über Jahrtausende kundige Seefahrerinnen-Völker. Sie besiedelten neue Regionen und Kontinente vor allem über den See- und Wasserweg.

Laut Psychohistorie hätten die matriarchalen Menschen der Jungsteinzeit im Zuge der Entstehung der Ackerbaukultur „die Außenwelt so verändert, dass sie in einen Mutterleib geformt wurde“. Aufgrund unserer „Unfertigkeit bei der Geburt“ hätten die jungsteinzeitlichen Menschen den Wunsch entwickelt, „die Welt so umzuwandeln, dass sie nährend ist“.

Nicht die jungsteinzeitlichen Menschen haben "Frau Welt“, wie die vorchristlichen Kulturen ihre „Große Göttin“ u.a. bezeichneten und die seit Anbeginn an aus sich selber heraus nährend war und ist, in eine nährende Gestalt umgewandelt. Es war genau umgekehrt. Die Menschen haben sich das nährende Prinzip von Mutter Erde "abgeschaut" und dieses als Basis für ihre gesamte Gesellschaftsstruktur genommen. Die „Außenwelt“ war für die Menschen, lange vor der Jungsteinzeit, bereits ihre „Große Mutter“, wie die zahlreichen Göttin-Funde aus der Altsteinzeit belegen. Sie sahen in der Außenwelt eine Entsprechung zum vorgeburtlichen Sein im Mutterleib. 
Die kulturell-gesellschaftliche Entstehung der matriarchalen Gesellschaften alleinig mit den Prägungen der vorgeburtlichen Phase bzw. unserem Zustand als Neugeborenes erklären zu wollen, greift jedoch viel zu kurz und wird der Sache nicht gerecht. Dadurch wird unsichtbar gemacht, dass sich die gesamte, matriarchale Kultur auf dem „mütterlichen Prinzip“ entwickelt hat, mit welchem „Mutter Erde“ für alle ihre Menschen-, Tier- und Pflanzenkinder sorgt.

Das immanente Bild der Göttin, die in allem und jedem sichtbar und begreifbar ist, wird von Ludwig Janus ebenfalls mit „kindlich“ gleichgesetzt. Nach dieser „kindlich-magischen Kulturstufe“ hat dann die „Weiterentwicklung in Richtung Vater“ eingesetzt. 

Diese Entwicklung war und ist in gesellschaftlicher Hinsicht keine Weiterentwicklung, sondern eine eindeutige Fehl- und Rückentwicklung. Dieser „Vater im Himmel“, der seinen Söhnen aufgetragen hat, sich die Erde, und mit ihr auch die Frauen und Kinder, untertan zu machen, bringt seit Jahrtausenden, unter verschiedenen Namen, vor allem Leid und Schmerz über die Menschheit.

Die Entstehung des Patriarchats erklärt Ludwig Janus dadurch, dass matriarchale Kulturen „Keine Basis für 1.000 Leute gehabt hätten, weil es nicht möglich gewesen wäre, darin eine Basis für die Gefühle der 1.000 Menschen zu schaffen, welche von den Priestern zusammengehalten worden wären. Deshalb habe es in eine Männergesellschaft umgeschlagen, weil sie plötzlich 20.000 waren und sich Subkulturen gebildet haben, die angefangen haben, sich zu bekriegen.“ 

Wie anhand archäologischer Ausgrabungen belegt ist, gab es bereits matriarchale Stadtkulturen, in denen weder Befestigungsanlangen noch Zeichen für Kriege gefunden wurden. Die These, dass die matriarchalen Kulturen aufgrund ihrer Größe gescheitert wären, ist auch anhand der bis heute lebenden, matriarchalen Kulturen nicht haltbar, welche aus viel mehr als nur 1.000 Menschen bestehen. Außerdem waren nicht die Gefühle der Menschen die Basis der matriarchalen Kultur, sondern die durch das mütterliche Prinzip von Mutter Erde bestimmten, gesellschaftlich-sozialen Strukturen.

Die Entstehung des Patriarchats aus dem Wachstum der matriarchalen Kulturen erklären zu wollen, verschleiert die tatsächlichen Gründe für die Zerstörung der matriarchalen Kulturen, welche in den Kurgan-Völkern zu finden sind, die sich in der Folge von massiven Klimaveränderungen gebildet hatten.Nicht die matriarchalen Kulturen selbst waren für die Zerstörung ihrer Kulturen verantwortlich, sondern die von außen, mit brutaler Gewalt eindringenden, frühpatriarchalen Kriegervölker. Ich verweise dahingehend auf das Buch „Geschichte matriarchaler Gesellschaften und Entstehung des Patriarchats – Band III: Westasien und Europa“ von Heide Göttner-Abendroth, erschienen im Kohlhammer-Verlag.

Die moderne Matriarchatsforschung würde „aus Angst vor einem Aufstand der Frauen“ zurückgehalten und „die Berührungsängste der Wissenschaft mit der Matriarchatsforschung hätten mit den Traumata und ihrer Angst zu tun“, so Aussagen, die im Rahmen der Tagung getätigt wurden. 

Das Zurückhalten der brisanten Erkenntnisse der Matriarchatsforschung dient dem Machterhalt des patriarchalen Systems. Deshalb wird alles als „unwissenschaftlich“ erklärt, was nicht ins patriarchale Weltbild passt. Die moderne Matriarchatsforschung birgt das Potential für einen Paradigmenwechsel in sich, dessen Relevanz viel weitreichender als ein möglicher „Aufstand der Frauen“. 

Frank Horstmann, Gudrun Sahlender-Wulf, Christian Lackner, Helga Krüger-Kirn, Sarah Burgard, Dragana Djordjevic stehend: Ludwig Janus

Die erstmalige Annäherung der beiden Forschungsgebiete Psychohistorie & Politische Psychologie und der Modernen Matriarchatsforschung im Rahmen dieser Tagung ist dem Engagement von Gudrun Sahlender-Wulf zu verdanken. Sie äußerte zu Beginn ihres Referats "Überblick über die Matriarchatsforschung, die das erste Kapitel der Menschheitsgeschichte erkundet" den Verdacht, „dass die patriarchalen Strukturen und die Probleme, die sich in der Kinder- und Jugendpsychologie zeigen, zusammenhängen“. Auch betonte sie, dass aus der Bindungsforschung bekannt ist, dass „ein gut gebundenes Kind frei ist. Dieses Kind entwickelt Urvertrauen, wenn es im Schoß des Clans aufwächst. Ein nicht gut gebundenes Kind hingegen wird neurotisch und narzisstisch, denn es lebt im Feindesland“. Sie erwähnte dazu die narzisstischen Störungen bei Karrieremenschen. Gudrun Sahlender-Wulf berichtete in ihrem Vortrag, dass Carola Maier-Seethaler, welche auch von Ludwig Janus mehrmals als Quelles seines Wissens über matriarchale Kulturen genannt wurde, einen Aufsatz für eines der Jahresprogramme der GPPP geschrieben hat. 

Carola Meier-Seethaler ist psychoanalytische Psychologin und folgt in ihren Publikationen der klassisch-patriarchalen Stufentheorie, nach welcher der „Urmensch unbewusst und dumpf“ gewesen sei und wir uns heute im „Lichte des patriarchal-männlichen Geistes“ befänden. In ihrem Buch „Ursprünge und Befreiungen“ strebt sie von den „matrizentrischen Hochkulturen“ zur „Befreiung zur Partnerschaft“. Wie diese „Partnerschaft“ auf dem Boden des Patriarchats möglich sein soll, beantwortet sie darin nicht. Auch ihre psychologistischen Hypothesen zu Patriarchatsentstehung sind als problematisch zu betrachten. Sie äußert in ihrem Buch das gängige Vorurteil, dass sich die Männer in matriarchalen Kulturen „zweitrangig“ gefühlt hätten und sich aus dem „mächtigen Einfluss der Mütter“ emanzipieren wollten, was sie durch Gewalttaten vollzogen hätten.

Diese These zur Patriarchatsentstehung ist sehr beliebt, jedoch aus historisch-ethnologischer Betrachtungsweise nicht haltbar. In egalitären Gesellschaften, wie matriarchale Kulturen es sind, gibt es keine Unterdrückung der Männer durch die Frauen, wie wir dies in umgekehrter Form im Patriarchat seit Jahrtausenden erleben. An den heute noch existierenden, matriarchalen Kulturen kann man eindeutig sehen, dass die Männer mit Vehemenz und Leidenschaft ihre matriarchale Kultur verteidigen und schützen und keineswegs den Wunsch verspüren, ins sie umgebende Patriarchat zu flüchten.

Carl Gustav Jung, Entwickler der Analytischen Psychologie und nicht interessiert an Kultur- und Sozialgeschichte, hat aus den geschichtlich nachvollziehbaren Überlieferungen aus archaischen Zeiten „Sedimente in der Psyche, im kollektiven Unbewussten“ des Menschen gemacht, die keinen Bezug zur realen kulturhistorischen Geschichte hätten, sondern „von vornherein“ immer schon in der menschlichen Psyche angelegt gewesen wären. Damit macht er die kulturhistorische Tiefe und die vor-patriarchalen Kulturzusammenhänge unsichtbar und negiert diese. Seine patriarchale Kulturpsychologie tritt in den Arbeiten seines Schülers Erich Neumann überdeutlich und in erschreckenden Ausmaßen hervor. Heide Göttner-Abendroth zitiert in ihrem Buch „Das Matriarchat I“ dazu folgende Aussage aus seinem Buch „Die Große Mutter“:

Mit der Entdeckung des kollektiven Unbewußten als des gemeinsamen psychischen Fundaments der Menschheit hat der moderne Mensch einen neuen Orientierungspunkt gewonnen. Die Entwicklung des Bewußtseins, die vom fast völlig Enthaltensein im Unbewußten beim Urmenschen bis zur abendländischen Form des Bewußtseins reicht, ist als das eigentliche Anliegen der gesamten Menschheitsgeschichte sichtbar geworden. Die Richtung zum Licht (C.G. Jung) hat sich auf die Dauer als stärker erwiesen als alle Verdunkelungskräfte, welche das Bewußtsein auszulöschen versucht haben.

Angesichts jener patriarchalen Kräfte, deren Bestrebungen immer offenkundiger werden, sich die gesamte Menschheit als „Humankapital“ für die eigene Profitmaximierung untertan zu machen und die letzten Ressourcen der Erde zu Geld zu machen, sind diese Aussagen von Jung und Neumann eindeutig als falsch ad acta zu legen und all jene Psychologen und Psychologinnen, welche noch immer diesen Denkansätzen folgen, wären dringend aufgefordert, diese patriarchatskritisch zu hinterfragen.

In ihrem Vortrag über „Die Verletzlichkeit am Lebensanfang und die Verantwortung der Gesellschaft“ hat Renate Hochauf eine für mich persönlich, aber auch für mein berufliches Tun sehr bedeutsame Aussage getroffen: Alles, was in der Mutter vom Tage der Zeugung an vorgeht, ist „der Schatz, den das Kind mitbringt“. Die frühen, vorgeburtlichen Traumata können nur über die mütterliche Linie vererbt werden. „Das, was die Mutter denkt und erlebt, kommt automatisch in das Datenverzeichnis der Amygdala des Kindes.“ Mit dieser Erfahrungssammlung in der kindlichen Amygdala beschäftigt sich die pränatale Psychologie.

Bei einem Schock kommt es zur Trennung zwischen Amygdala und Hippocampus, wir fallen in die Amygdala-Phase. Je früher ein Trauma ansetzt, desto massiver ist die Amnesie“, das „Vergessen“, so Renate Hochauf. „Es bleiben nur noch die Reizzustände wie Panikattacken, schwere Erkrankungen oder Demenz, bei welcher der Hippocampus nicht mehr funktioniert.“

Sie schildert das Beispiel eines Vaters, welcher im Rahmen der Geburt seines Kindes sein eigenes Trauma zu integrieren begonnen hat, indem ihm bewusst wurde, dass er „in den Armen der Hebamme erstmals das Gefühl hatte, willkommen zu sein“. Deshalb ist es auch im Sinne der Männer, dass Frauen und Männer friedlich miteinander umgehen, weil auch Männer schwer traumatisiert werden, wenn die Mütter traumatisiert sind und werden. Außerdem bewirken wir mit unserer persönlichen Bereitschaft zur Heilung der im Datengedächtnis der Amygdala gespeicherten Gewalterfahrungen nicht nur Heilung für uns selbst und unsere Nachfahren, sondern leisten damit auch einen Beitrag zur Heilung der Gesellschaft.

Ludwig Janus merkte dazu an, dass die Neurose und psychosomatische Erkrankungen ihre Wurzeln in der vorgeburtlichen Phase haben. In der „gängigen“ Psychologie und Psychotherapie wird dies allerdings geleugnet. Deshalb hat er das Institut für pränatale Diagnostik gegründet. Renate Hochauf hat zu diesem Themengebiet das Buch „Frühes Trauma und Strukturdefizit“ geschrieben.

Der „Schatz“, welche Kinder in matriarchalen und patriarchalen Kulturen mit auf ihren Lebensweg bekommen, unterscheidet sich grundlegend von unserem „patriarchalen Schatz“. Ebenso wird die Bedeutsamkeit der matriarchalen Sozialmuster, in denen die Mutter mit ihren Kindern ihr ganzes Leben lang im mütterlichen Clan eingebettet ist, aus westlicher, psychohistorischer Forschungsarbeit bestätigt. Die pränatale Zeit im Mutterleib ist prägend für unser gesamtes weiteres Leben. Die Geburt eines Menschen ist so wesentlich, dass sie seit der Altsteinzeit weltweit in Darstellungen von Vulva und Plazenta, dem Fruchtwasser als „Urozean“ und der Nabelschnur als „Urschlange“ abgebildet wurde. Matriarchale Kulturen bauten ihre gesamte Gesellschaftsstruktur auf dem „mütterlichen Prinzip“ auf. Schwangere Frauen, Kinder und ihre Mütter brauchen einen schützenden, sozialen Uterus um sich herum, damit von Anfang an eine sichere Bindung entstehen kann.

Und Frauen und Männer, Mütter und Väter sind nicht gleich, wie uns dies der moderne Genderansatz weis machen will. Mütterliches und Väterliches sind eben nicht wie „die zwei Hälften eines Eies“, wie Helga Krüger-Krin dies in ihrem Vortrag „Der moderne Diskurs zur weiblichen und mütterlichen Identität“ dargestellt hat. Die Prägung durch die leibliche Mutter ist einzigartig.

Patriarchale Kulturen setzen genau hier an: an der Zerstörung der „Keimzelle der Gesellschaft“ – an der Trennung zwischen Mutter und Kind. Die indigenen Kinder, welche im Zuge der Missionierung und Kolonisation in die Missionarsschulen gebracht wurden, um ihnen die Verbindung zu ihrer eigenen Kultur, zu ihrem eigenen Mutter-Clan zu nehmen, um sie zu „Soldaten für das Patriarchat“ erziehen zu können, geben dazu ein erschütterndes Zeugnis ab.

Sarah Burgard lieferte in ihrem Vortrag „Die vorgeburtliche Mutter Kind Beziehung – das erste Kapitel der Lebensgeschichte“ Informationen dazu, wie entscheidend eine sichere Bindung, ein bewusster Dialog zwischen Mutter und Kind während der Schwangerschaft sind. Sowohl die Kaiserschnittraten als auch die Zahl der Frühgeburten und der postnatalen Depressionen können dadurch entscheidend gesenkt werden. Neu war für mich auch, dass eine Spur hinsichtlich des plötzlichen Kindstods zur Gabe von Glukose anstatt Kolostrum nach Kaiserschnittgeburten führt.

Frank Horstmann hat uns in seiner Präsentation zum Thema „Die in Stein gemeißelte Erweckung des Anscheins von Leben“ damit überrascht, dass die bisher als Schlangen interpretierten Darstellungen auf Felszeichnungen und Ritzungen Nabelschnur und Plazenta abbilden. Er hat uns auch bewusst gemacht, dass wir aufgrund unserer Schulbildung wissen, wie Sperma aussieht und deshalb Gefahr laufen, dies in frühere Darstellungen hinein zu interpretieren. Doch Menschen in archaischen Kulturen sahen in ihrem alltäglichen Leben kein Sperma, sondern die Plazenta. 


Dragana Djordjevic ging in ihrem Vortrag „Das Frühgeborene und seine Mutter“ auf die Folgen von Frühgeburten ein. In Holland haben nach Frühgeburten weniger Kinder Probleme, weil dort weniger Technik zum Einsatz kommt. Frühgeborene haben meist kognitive Probleme, viele Ängste, autistische Tendenzen, bipolare Störungen, Depressionen – mehr als reif geborene Kinder. Eine Studie hat belegt, dass sich Frühgeborene beruhigen, wenn ihnen Lullaby-Musik oder auch die Mutterstimme vorgespielt wurde. Doch nur wenn sie auch die Mutterstimme hörten, hat die Beruhigung für eine längere Dauer angehalten. In der Schulmedizin müssen jedoch die teuren Inkubatoren ausgelastet sein. Sie bringen den Krankenhäusern das Geld. Je früher ein Kind den Mutterleib verlassen muss, desto mehr Einnahmen bedeutet dies für die Krankenhäuser. Nicht nur Kaiserschnitte sind ein gutes Geschäft für die Ärzte und Krankenhäuser, sondern auch die immer mehr werdenden Frühgeburten.

Johanna Schacht brachte uns im Rahmen der Tagung „Die pränatalpsychologischen und matriarchatsgeschichtlichen Dimensionen des Geldes“ näher. Münzen sind laut ihren Forschungen ursprünglich Plazenta-Motive gewesen, was sie anhand der oftmaligen Darstellung von „Schlange und Weltenbaum“ auf Münzen belegt, welche auch als „Nabelschnur und Plazenta“ gedeutet werden können. Kaurischnecken in Vulvaform als erstes Geld bestätigen ihre These, dass dieses ursprüngliche „Geld“ den Segen der Göttin in Form des neuen Lebens symbolisiert hat. Mit Regionalwährungen, welche die Kooperation der Menschen fördern, kehren wir zu einer weiblichen Form des Geldsystems zurück. 

 
Christian Lackner gab in seinem Vortrag einen „Überblick über die Psychohistorie – die Wechselwirkung von Kindheitsgeschichte und Gesellschaftsgeschichte“. Seiner Ansicht nach sei „die Menschheitsgeschichte eine Folge von Kindesmisshandlung und Kindheitsmisshandlung ist als Motor für die Menschheitsgeschichte zu betrachten“. Denn die erlittenen Traumata zeigen und wiederholen sich immer wieder. „Männer ziehen in den Krieg, um den eigenen schlechten, sündigen Teil zu opfern. Die Traumata reinszenieren sich auf den Bühnen der Weltgeschichte. Sie verlangen nach Wiederholung, nicht die Geschichte wiederholt sich!“, so seine Erkenntnis. „Deshalb verändert sich die Gesellschaft, wenn wir das Trauma reduzieren.

Christian Lackner hat das Buch „Das emotionale Leben der Nationen“ von Lloyd deMause ins Deutsche übersetzt, ein für die Psychohistorie bedeutsames Grundlagenwerk. Auch Lloyd deMause geht in seinem Buch davon aus, dass es „Gewalt schon immer gegeben habe“.

Doch nur die patriarchale Geschichte ist eine Folge von Kindesmisshandlungen! Und nur patriarchale Kulturen setzen auf Kindes- und Frauenmisshandlung als „Motor für ihre Geschichte“! Dies auch für matriarchale Kulturen als gegeben anzunehmen, entspricht nicht den tatsächlichen Gegebenheiten in matriarchalen Kulturen, wie die Erkenntnisse der Modernen Matriarchatsforschung belegen. Meines Erachtens würde es den Forschungs- und vor allem Erkenntnishorizont der Psychohistorie beträchtlich und entscheidend erweitern, das patriarchale Dogma, dass es Gewalt seit Anbeginn an gegeben habe, zu hinterfragen. Die Erkenntnisse der Modernen Matriarchatsforschung sind dabei wertvolle und fundierte Informationsquellen. Eine erste Möglichkeit dazu hat Claudia von Werlhof im Rahmen der Tagung mit ihrem „Überblick über die Patriarchatskritik“ gegeben.

Während matriarchale Kulturen immer am Leben, am „Ich und die Welt“ orientiert sind, orientiert sich das Patriarchat „Ich und Du“, am „Ich gegen die Anderen“ und vor allem an der Ich-Bezogenheit jenseits der Natur. Die Abgrenzung von der Natur und den Frauen ist eine der tragenden Säulen des Patriarchats. Claudia von Werlhof betonte, dass das Patriarchat überall durch Eroberung, durch Gewalt von außen entstanden ist und die daraus entstandene Dekultivierung der Gesellschaft, denn Kriegervölker sind sozial-kulturell unterentwickelt. Nur Carola Meier-Seethaler behauptet die Entstehung des Patriarchats von innen.

Das griechische Wort „arché“ steht in seiner ursprünglichen Bedeutung für „Ursprung, Anfang, Beginn“, auch für die Gebärmutter. Erst im Zuge der Patriarchalisierung nahm es die spätere Bedeutung der Herrschaft an. Deshalb bedeutet Matriarchat wörtlich übersetzt „Am Anfang, am Ursprung die Mütter“, was die Sache sowohl biologisch als auch sozial trifft. Trotzdem hat das Patriarchat, so absurd das in Wahrheit ist, nichts unversucht gelassen, um den Vater als den vermeintlichen „Ursprung“, als „den Schöpfer“, der alles hervorbringen würde, hinzustellen, um damit seinen Herrschaftsanspruch abzuleiten.

Der „patriarchale Schöpfungsprozess“ besteht darin, wie Claudia von Werlhof anschaulich schilderte, „alles kaputt zu machen und daraus angeblich was Besseres, Schöneres zu machen“. Die lebendige, natürliche Materie wird aufgelöst, um aus diesem, sogenannten „Urstoff“, der nur mehr tote Materie ist, etwas Neues zu schöpfen, das der Mann selbst gemacht hat. All diese „männlich-patriarchalen Gebärphantasien und Schöpfungen“ bedrohen unser Leben, bedrohen das Überleben von Tieren und Pflanzen immer mehr. Sie vernichten tagtäglich die Regenwälder, vergiften die Meere, überschwemmen uns mit Mikroplastik, bedrohen uns mit atomaren Gau’s …“Little boy“ war der Codename der Atombombe auf Hiroshima. Über Nagasaki wurde „Fat man“ abgeworfen. 

Claudia von Werlhof

Diese „patriarchal-männlichen Gebärphantasien“ schaffen „das neue Leben“, indem sie das natürliche Leben, die weibliche Schöpfung zerstören, so Claudia von Werlhof. Deshalb geht es dem Patriarchat um das Zerstören, damit daraus etwas „Neues“ aus Männerhand erschaffen werden kann. Der Frauen von Freud angedichtete „Penisneid“ muss angesichts dessen von psychologischer Seite genauso ad acta gelegt werden, wie das Festhalten wollen an der Stufentheorie mit der Gleichsetzung der matriarchalen Kultur mit einer frühkindlichen, „unreifen“ Entwicklungsstufe.

Die Hexenverfolgungen sind nicht deshalb entstanden, wie ein Teilnehmer der Tagung gegenüber Claudia von Werlhof meinte, weil all jene Männer, welche Millionen Frauen als sogenannte „Hexen“ verfolgten und ermordeten, „eine böse Mutter hatten“. Dieser Genozid an den Frauen und auch Männern, die nicht bereit waren, ihrem vorchristlichen Glauben im Interesse der katholischen Kirche abzuschwören, begründet sich im Anspruch des Christengottes und seiner Stellvertreter auf Erden, die alleinigen Herrscher im Himmel und auf Erden sein zu wollen.

Und die Frauen im Patriarchat bekamen auch nicht „aufgrund der eiweißreichen Kost“ jedes Jahr ein Kind, wie Ludwig Janus meinte, sondern aufgrund der Verfolgung und Vernichtung der weisen, kräuterkundigen Frauen, denen damit auch das Verhütungs- und Abtreibungswissen abgenommen wurde und aufgrund des „göttlichen Auftrags“ ihrem Ehemann in sexueller Hinsicht immer zu Diensten sein zu müssen, wenn er die Lust danach verspürte.

Diese vielen Kinder haben die Kultur auch nicht „überschwemmt“, wie Ludwig Janus die Fülle an Kindern bezeichnete. Es war von gesellschaftlicher Seite gewollt, dass die Frauen möglichst viele Kinder bekommen, damit die patriarchalen Herrscher in Kirche und Staat genügend Arbeitskräfte für ihre ausgedehnten Ländereien und genügend junge Männer als Kanonenfutter für ihre Kriege hatten. Das Ermorden der Kinder, und vor allem auch ihrer Mütter, begann mit dem Patriarchat. Das von Ludwig Janus erwähnte „Weggeben der Kinder im Mittelalter“ ist wie das „Schlagen der Kinder im Barock“ eine Folge der patriarchalen Strukturen. „Erst im 20. Jhdt. habe sich eine fördernde Begleitung von Kindern“ entwickelt, so sein Resümee. Für patriarchale Kulturen mag das gelten, jedoch nicht für matriarchale. In diesen wurden und werden Kinder seit und über Jahrtausende liebevoll und fördernd auf ihrem Weg ins Leben vom gesamten Mutterclan unterstützt und begleitet.

Leider wird diese wissenschaftlich erforschte und in noch lebenden, matriarchalen Kulturen wie den Mosuo in China überprüfbare Tatsache von Psychohistorikern wie Sven Fuchs, dessen Buch „Die Kindheit ist politisch“ im Rahmen der Tagung vorgestellt wurde, ignoriert. Obwohl er in seinem Buch im Kapitel „Es gab kein Paradies! Gewalt in vorzivilisatorischen Gesellschaften“ schreibt, „kein Fachmensch für Ethnologie und ähnliche Gebiete“ zu sein, stellt er dahingehende Feststellungen von anderen als „Idealisierung von Stammesgesellschaften“ hin, um seine These, dass es Gewalt von Anfang an gegeben hätte, zementieren zu können. Weiters schreibt er in diesem Kapitel von „einer brennenden Frage, die sich ihm stellt“ und zwar:

Wenn es ein Paradies gab, dabei vor allem ein Paradies für Kinder, ein Leben von Kindern in einer menschlichen Gruppe, in dem sie angenommen wurden und keinerlei oder nur in sehr geringem Ausmaß Gewalt, Missbrauch, Unterdrückung, Demütigung und/oder Zwang erfahren hätten, dann würde dies nach unserem heutigen Wissen bedeuten, dass aus diesen Kindern sehr gesunde, kaum aggressive, kaum destruktive, kaum selbstschädigende Erwachsene mit einer breiten und lebendigen Gefühlswelt geworden wären. Diese Erwachsenen hätten dann wiederum ganz selbstverständlich an ihre Kinder weitergegeben, was sie selbst als Kind erlebt haben. Warum hätten diese aus dem Paradies stammenden Menschen plötzlich – nur weil sie wirtschaftliche Prinzipien, Besitz, Ackerbau etc. erfunden hatten – anfangen sollen, ihre Kinder zu malträtieren, zu demütigen und zu schlagen? Warum hätte dieses Prinzip der Gewalt und Mitleidlosigkeit gegen Kinder weltweit alle Gesellschaften durchdringen können und zwar so durchgängig, dass wir immer noch in unserer heutigen modernen Welt auf das hingewiesene enorme Ausmaß von Kindheitsleid stoßen?

Sein Dilemma, weshalb er bisher keine Antwort auf diese für ihn so brennende Frage gefunden hat, beantwortet Sven Fuchs im nächsten Satz selbst: „Ich glaube nicht an ein Paradies! Ich glaube vielmehr an die Evolution von Kindheit und daran, dass ein Blick zurück nicht lohnt, um zu lernen, was wir besser machen können. Nur der Blick nach vorne bringt uns weiter.

Es ist genau jener Blick „zurück“, dem sich Sven Fuchs so vehement verschließt, der ihn im patriarchalen Weltbild gefangen hält und es ihm nicht möglich macht, die tatsächliche Tragweite seines Forschungsgebietes erfassen zu können. Denn die tatsächliche, politische Bandbreite von Kindheit wird erst dann sichtbar, wenn Menschen sich dafür öffnen, die Gewaltlosigkeit in matriarchalen Kulturen als gegeben anerkennen zu wollen.

Sven Fuchs beschreibt in eindrücklichen Worten, was es bedeutet, in einer gewaltfreien Gesellschaft aufzuwachsen und diese Erfahrung an die Kinder weiterzugeben. Doch dann verfällt er leider der Annahme, dass mit diesem „paradiesischen Zustand“, so es ihn denn überhaupt gegeben hätte, Schluss gewesen wäre mit der Entstehung der Ackerbaukulturen. Doch nicht die matriarchalen Ackerbaukulturen haben „plötzlich“ und aus heiterem Himmel damit angefangen, ihre Kinder zu malträtieren – sondern die aus Zentralasien eindringenden, frühpatriarchalen Kurgan-Völker haben Gewalt und Zerstörung über die friedlichen, gewaltlosen, matriarchalen Kulturen gebracht. 

Fazit:

Anhand dieser Beispiele aus dem Buch von Sven Fuchs zeigt sich die grundlegende Herausforderung hinsichtlich der auf der Tagung in Heidelberg begonnenen Annäherung zwischen Psychohistorie und Moderner Matriarchatsforschung: Ob jene Vertreter und Vertreterinnen der GPPP, die sich bisher noch nicht mit den Erkenntnissen der Modernen Matriarchatsforschung beschäftigt haben, bereit sein werden, ihr eigenes, patriarchales Weltbild in Frage zu stellen, die uns allen auferlegte, patriarchale Denkblockade überwinden zu wollen, so manches Vorurteil und einiges an Falschinformationen aus ihrem psychohistorischen Biotop entfernen zu wollen, um sich für die „matriarchale Horizonterweiterung“ zu öffnen. Solange ihre Forschungen nicht an die Wurzel gehen – und die Wurzel der Gewalt gegenüber Kindern und Müttern ist das patriarchale System – werden die Erkenntnisse der Psychohistorie nicht die für einen gesellschaftlichen Wandel nötige Tragweite und Relevanz entwickeln können. 

Denn es ist das Patriarchat, welches auf all den Traumatisierungen basiert und bis heute davon profitiert, welche Kindern und ihren Müttern im Laufe der patriarchalen Menschheitsgeschichte zugefügt wurden und nach wie vor werden. Gewalt ist eine patriarchale Entwicklung und ist mit diesem untrennbar verbunden. Matriarchale Kulturen hingegen haben soziale Mechanismen entwickelt, durch welche ihre Kulturen seit Jahrtausend friedlich und ohne strukturelle Gewalt gegenüber Frauen und Kindern, welche uns im Patriarchat als „naturgegeben“ vermittelt wird, funktionieren.

Johanna Schacht, Claudia von Werlhof, Ludwig Janus

Damit es zwischen unseren beiden Biotopen tatsächlich zu einer vertiefenden, für beide Seiten bereichernden Begegnung und Zusammenarbeit kommen kann, braucht es von Seiten der Vertreter und Vertreterinnen der Psychohistorie Offenheit und Interesse für die Erkenntnisse der Modernen Matriarchatsforschung bezüglich der Menschheitsgeschichte, so wie wir Matriarchatsfrauen an diesem Wochenende den Erkenntnissen der Psychohistorie hinsichtlich den weiblich-mütterlichen und kindlichen Dimensionen im individuellen Leben begegnen sind.

Die nächstjährige Tagung der GPPP steht unter dem Motto „Der Weg in eine mutterlose Gesellschaft – Was wird aus unseren Kindern?“ Ich bin dahingehend gespannt, wie der Weg in eine Welt, in welcher die Gesellschaft für Psychohistorie und Politische Psychologie und die Moderne Matriarchatsforschung interdisziplinär zusammenarbeiten, weitergehen wird. Was aus den Keimen werden wird, die wir heuer in Heidelberg in unsere jeweiligen Biotope gesät haben …




Alle Vorträge der Tagung werden im "Jahrbuch für psychohistorische Forschung" nachzulesen sein, herausgegeben vom Mattes-Verlag Heidelberg.

Kommentare

  1. Liebe Frau Fuchs-Haberl,

    Ich bin aktuell auf Ihren Beitrag bzw. Kommentar zur Tagung gestoßen und möchte kurz einige Anmerkungen dazu abgeben. Dabei spreche ich nur für mich und nicht für die GPPP (bei der ich auch Mitglied bin).

    Mich freute es zunächst sehr, dass Sie mein Buch gelesen haben :-)!

    Ich fühle mich aber teils falsch wiedergegeben. Ich habe in meinem Buch nirgends geschrieben, dass mit der Entstehung des Ackerbaus Schluss mit „paradiesischen Zuständen“ bzw. Gewaltfreiheit war. Vielmehr habe ich gerade kritisiert, dass viele Autoren davon ausgehen, dass mit der Entstehung des Ackerbaus die Gewalt stark zunahm oder gar entstand. Dagegen habe ich Studien und auch Zahlen (vor allem Mordraten) gehalten, die belegen, dass schon bei Jägern und Sammlern (oder Jägern und Fischern) hohe Mordraten zu finden waren. Dies gilt noch einmal mehr für tribale Kulturen, die ergänzend häufig Kriege führten.

    Wobei ich gleich zu meinem nächsten Kritikpunkt komme: Sie haben hervorgehoben, dass ich „kein Fachmensch für Ethnologie und ähnliche Gebiete“ bin. In der Tat habe ich Wert darauf gelegt, dies in meinem Buch zu betonen, da das Kapitel „Es gab kein Paradies! Gewalt in vorzivilisatorischen Gesellschaften“ für mich ein „Ausflug“ war. Denn ansonsten bin ich eher darauf spezialisiert, die Folgen von Kindesmisshandlung und -Vernachlässigung zu ergründen (mit einem besonderen Augenmerk auf die politischen Folgen). Allerdings zitieren Sie rein die Textstellen aus meinem Buch, die hier den Eindruck erwecken, ich hätte mir „einfach mal so“ meine Gedanken gemacht und das als Laie. Sie unterschlagen dabei, dass ich etliche wissenschaftliche Quellen (dabei auch anerkannte Experten für genau dieses Gebiet) zitiert und zudem die Belastungen von Kindern auch erweitert gesehen habe (also nicht nur Gewalterleben, sondern auch „verdecktere Formen“ wie Rituale und Initiation). Außerdem habe ich Beispiele aufgeführt, wo Feldforscher zunächst Harmonie und Frieden in vorzivilisatorischen Kulturen ausmachten, was andere Forscher auf Grund ihrer Ergebnisse wiederum relativierten oder gar wiederlegen konnten.

    Das von Ihnen zitierte Kapitel war für mich zwar spannend, aber es ist für mich kein zentrales Kapitel in meinem Buch. Insofern kann ich gut damit leben, wenn Sie meine Ergebnisse kritisieren. Allerdings sollten Sie sich dann auch im Detail mit den von mir zitierten Quellen befassen und diese durch andere Quellen widerlegen.

    Ansonsten fand ich die Veranstaltung in Heidelberg sehr interessant und finde es auch sehr schön, dass offensichtlich Forschende aus anderen Spezialgebieten mit den Psychohistorikern und Psychohistorikerinnen zusammenkamen. Das kann für alle nur ein Gewinn sein.

    Viele Grüße

    Sven Fuchs

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    1. Lieber Herr Fuchs,

      hinsichtlich Ihres Kommentars zu meinem Blog-Beitrag über die Tagung der GPPP und mein Bezug nehmen auf Ihr Buch nun meine Stellungnahme dazu: In Ihrem Buch habe ich jene Kapitel gelesen, welche ich in meinem Beitrag erwähne. Jene Kapitel, in denen Sie „hohe Mordraten“ bereits für die altsteinzeitlichen Kulturen annehmen, habe ich nicht gelesen und ich werde dies auch nicht nachholen, da ich diese „patriarchale Leier“ vom „ewigen Krieg“ leid bin und meine Zeit keinen Büchern widme, in denen diese gebetsmühlenartig wiederholt wird, um das eigene, patriarchale Weltbild der „immerwährenden Gewalt“ unter den Menschen nicht infrage stellen zu müssen.

      Heide Göttner-Abendroth beschreibt in ihrem wissenschaftlichen Hauptwerk „Geschichte matriarchaler Gesellschaften und Entstehung des Patriarchats“, erschienen im Kohlhammer Verlag, im Kapitel „Die Rede vom „ewigen Krieg“ bei Archäologen“ (Seiten 28 bis 38) diese Thematik ausführlich. Es steht Ihnen und allen an dieser Thematik Interessierten frei, für welche Sichtweise auf Altsteinzeit und Jungsteinzeit sie sich entscheiden wollen.

      Einem gesellschaftlichen Wandel zu einer friedlichen Gesellschaft werden wir mit unserer Sichtweise jedoch nur dann dienlich sein, wenn wir die Bereitschaft entwickeln, die Gewalt gegen Kinder und Frauen, gegen andere Kulturen und Religionen als die zentrale Säule des Patriarchats erkennen zu wollen.

      Zu Ihrer Begriffswahl „vorzivilisatorisch“ für die Gesellschaften der Alt- und Jungsteinzeit noch eine Anmerkung: wenn man bedenkt, dass die Menschen der Steinzeit alle Kulturgüter geschaffen haben, auf denen wir heute noch aufbauen, dann kann dieser Begriff nur als diskriminierend bezeichnet werden. Außerdem impliziert diese Bezeichnung, dass unsere heutige patriarchale Gesellschaft, welche gerade dabei ist, die Erde immer mehr zu zerstören, als „zivilisiert“ zu bezeichnen sei.

      Ich freue mich, wenn ich mit meiner Stellungnahme zu Ihrem Kommentar dazu beitragen kann, dass sich Ihr Gewinn aus dem Zusammenkommen von Psychohistorie und moderner Matriarchatsforschung erhöht.

      Herzliche Grüße,
      Renate Fuchs-Haberl

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