100 Jahre Frauenwahlrecht


Unter diesem Titel hat das katholische Bildungswerk Kufstein gestern zu einem Vortrag mit der Journalistin Sibylle Hamann geladen. Schon länger verfolge ich ihre interessanten und wichtigen Beiträge im Falter und der Emma. Das Frauenwahlrecht erscheint Frauen in der heutigen Zeit teilweise so selbstverständlich, dass sie es nicht für nötig erachten, von dieser so wichtigen Errungenschaft ihrer Vorgängerinnen auch tatsächlich Gebrauch zu machen. Als meine Tochter Lisa als Maturathema in Englisch die Suffragetten wählte, zeigte sich ihre Englischlehrerin bei den Ursulinen sehr überrascht über diese Themenwahl. Sie musste sich selber erstmals mit diesem so wichtigen Stück Frauengeschichte beschäftigen, obwohl sie an einer, damals noch reinen Mädchenschule, mit einer jahrhundertelangen Tradition in der Bildung von jungen Frauen unterrichtete. 

 Vor 100 Jahren haben Frauen hier bei uns erstmals „eine Stimme bekommen“. Nur wer eine Stimme hat, kann in der Öffentlichkeit reden, mitreden und kann auch gehört werden. Obwohl Frauen 1918 in politischen Belangen eine Stimme erhalten haben, waren sie in ihrem persönlichen Leben noch bis 1975 dem männlichen „Haushaltsvorstand“ unterstellt. Der Mann als „VorMUND“, dem das Recht gegeben war, für „seine Frau zu sprechen“. Damals war ich sieben Jahre alt. Ich erinnere mich an Listen, welche von den Familien ausgefüllt werden mussten hinsichtlich ihrer Lebensgewohnheiten und wie dort ein Punkt auch jener des „Haushaltsvorstandes“ war, was mir irgendwie komisch vorkam.

Sibylle Hamann hat in ihrem Vortrag wiederholt den „patriarchalen Extremfall“ dargestellt, weil wir daraus die „patriarchale Alltagsnormalität“ hier bei uns besser erkennen und verstehen können. Die Situation der Frauen in Ländern wie Afghanistan macht das auf extreme, plakative Weise offenkundig, was wir auch hier bei uns finden können: Die Aufspaltung des Lebens im Patriarchat in zwei Bereiche – den öffentlichen Bereich draußen, die Sphäre der Männer und den privaten Bereich drinnen, die häusliche Sphäre der Frauen. Frauen wurden im Patriarchat über Jahrtausende mit massiver Gewalt und Druck für den häuslichen Bereich „zuständig gemacht“. Wir haben das so sehr verinnerlicht, dass sich viele Frauen heutzutage, wie automatisiert, für all die Belange der Häuslichkeit selber „zuständig machen“.

In arabischen Ländern spielt sich das Leben der Frauen hinter dicken Mauern, in den Innenhöfen, ab. Dort herrscht eine intensive, lebendige Frauenkultur, wie wir sie hier bei uns nicht mehr kennen. Das Erscheinen von Ehe-Männern ist nicht erwünscht, denn sonst müssen sich alle anderen Frauen verschleiern. Unter der Burka wird die Frau gänzlich „zum Verschwinden gebracht“. Sie ist, obwohl sie sich im öffentlichen Raum bewegt, als individuelle Frau, mit ihrer Persönlichkeit, mit ihrer Erscheinung „gar nicht mehr da“. Trägt sie einen Niqab über dem Mund, ist sie damit „stumm geschaltet“. Frauen in arabischen Ländern wird damit, für alle sichtbar, ihre Stimme genommen. 

Westliche Frauen haben diese patriarchalen Mechanismen, für andere unsichtbar, in sich verinnerlicht. Wir tragen „den patriarchalen Schleier in uns“, wie es Heide Göttner-Abendroth im Zuge meines Matriarchatsstudiums beschrieben hat. Deshalb ist es nicht mehr nötig, westliche Frauen „so zuzuhängen wie arabische Frauen“, so ihre Worte. Diesen unsichtbaren, patriarchalen Schleier über unser Denken, Handeln und Fühlen zu erkennen und abzulegen, ist noch schwieriger, so Heides Ausführungen, denn während arabischen Frauen die Unterdrückung durch das Patriarchat tagtäglich, im wahrsten Sinne des Wortes, vor Augen geführt wird, fühlen wir uns hier im Westen vermeintlich frei von diesen Einschränkungen durch das Patriarchat – was jedoch in keinster Weise so ist.

Auch über die patriarchalen Tricks, mit denen Frauen aus der Politik ferngehalten werden, hat Sibylle Hamann berichtet: Frauen wird weisgemacht, dass „die Männer sie vor den Gefahren draußen beschützen müssten“. Die patriarchalen Unterdrückungs- und Einschränkungsmechanismen gegenüber Frauen werden diesen als männliche Maßnahmen „zu ihrem eigenen Wohle“ verkauft. Frauen in Saudi-Arabien wurde erklärt, sie dürften deswegen nicht selber Autofahren, weil dies ihrer weiblichen Gesundheit schaden würde. Übernehmen Frauen politische Aufgaben hier bei uns, steht die männlich-patriarchale „Sorge“ um deren Gesundheit plötzlich ebenfalls im medialen Raum.

Das mit dem „Beschützen müssen von Frauen“ ist die erste, patriarchale Taktik. Die zweite spricht jenen Frauen, die sich in die Politik begeben, die Weiblichkeit ab. Du wirst zum „Mannweib“, wenn du als Frau raus in die Öffentlichkeit rausgehst, „deine Weiblichkeit nützt sich ab“, davon sprechen Männer und leider auch immer wieder Frauen bis heute. Seit dem 19. Jahrhundert war „Blaustrumpf“ ein Schimpf- und Spottname für Frauen, die nicht mehr bereit waren, sich dem zeitgenössischen, patriarchalen Frauenbild unter zu ordnen, die widersprachen, die nach Emanzipation, nach Bildung, nach Selbstbestimmung, nach einem Mitspracherecht strebten. Zu dieser zweiten Taktik zählt auch die perfide, patriarchale Vorgehensweise, sich emanzipierende Frauen als „nicht mehr begehrlich für den Mann“ hinzustellen.

Damit wird Angst geschürt in den Frauen vor dem Verlust der männlichen Aufmerksamkeit und Liebe. Das „Urtrauma“ so vieler Frauen über Generationen wird dadurch berührt: die Vaterwunde – der unerreichbare, der distanzierte, der emotional abwesende Vater, um dessen Zuwendung und Anerkennung erwachsene Frauen millionenfach, auf den unterschiedlichsten Bühnen des Lebens, bis heute kämpfen und gegeneinander buhlen. Julia Onken hat dazu ein Buch geschrieben, das ich jeder Frau ans Herz legen kann: „Vatermänner“.

Dieses „nicht mehr begehrlich sein für den Mann“ begründet sich in der Angst so vieler Männer vor einer selbstbewussten, selbstbestimmten Frau. Immer wieder erleben Frauen, die endlich anfangen auch ihre sexuellen Wünsche zu formulieren, wie die Erektion des Mannes entsprechend ihrer weiblichen Selbstbestimmung schwindet. Patriarchale Männer bekamen und bekommen millionenfach Erektionen, die so „standhaft“ sind, dass sie damit Frauen vergewaltigen können. Doch sie „bringen keinen mehr hoch“, wenn ihre Frau im Bett sagt, was sie sich wünscht. Welch ein Armutszeugnis Männer damit letztendlich über sich selbst abgeben, das verdrängen und verstecken sie hinter Sexismus und narzisstischem Machtgehabe.

Oder sie wenden die dritte Taktik an: die direkte Vertreibung der Frauen aus dem öffentlichen Raum, die Bestrafung jener Frauen durch sexuelle Gewalt, die diesen Raum für sich einnehmen. Jede Frau, die den öffentlichen Raum in Besitz nimmt, übertritt die männliche Regel, das patriarchale Tabu, welches Frauen die Sphäre der Häuslichkeit zuordnet. Die „öffentliche Frau“ im Patriarchat ist eine Prostituierte. Die Vorgänge am Tahrir-Platz in Kairo heben uns gezeigt, dass Frauen „mit Vergewaltigung und Übergriffen zu rechnen haben, wenn sie sich politisch engagieren, wenn sie ihre Stimme erheben“. Das Patriarchat setzt mit dieser sexuellen Gewalt auch „eine Warnung an alle Frauen, die mit dem Gedanken spielen, auch das Haus verlassen zu wollen“. Frauen wird anschaulich gezeigt, was ihnen droht, wenn sie die patriarchalen Spielregeln nicht mehr mitspielen wollen.

Bald geht’s weiter…

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