Den Elementen verbunden…
Einen Februar-Faschingssamstag im
ursprünglichen Sinne sollte ich heuer durchleben. Februar leitet sich vom
Lateinischen februare für „reinigen“
ab. Doch kein Putztag im üblichen Sinne liegt hinter mir, wie viele den freien
Samstag nützen. Zum ersten Mal habe ich es geschafft, wirklich beim Aufsperren
um 9 Uhr da zu sein. Bewusst aus meinem Alltagsgeschehen für zumindest einen
Tag im Monat auszusteigen, das ist ein Geschenk an mich, meinen Körper und vor
allem meine Seele.
Die Liege vorne im Eck, auf die ich
gehofft hatte, ist noch frei zu dieser frühen Vormittagsstunde. Ganz alleine
gehört mir für die ersten Minuten meines Eintauchens in diese Welt hier das
heiße Wasser im Massagebecken, ebenso erlebe ich das Becken draußen im Freien.
Unerwartet und überraschend steigt mit dem kraftvollen Wasserstrahl, der
pulsierend auf meinen Rücken trifft, ein Satz aus mir hoch: „Den Elementen nahe…“
Ja, tatsächlich, so habe ich das Sein
in der Sauna noch nie gesehen. Noch nie hab ich so bewusst erkannt und erlebt,
wie nahe ich hier einen ganzen Tag lang den Elementen bin. Ohne Kleidung
zwischen uns, ohne ablenkende Alltagseinflüsse. Mit dem Wasserelemente sollte
dieser Tag beginnen. Die Wasserkraft, die das Alte, das Verhärtete, das
Gestaute und Blockierte wieder in den Fluss bringt, die mit ihrer stetigen,
alles umspülenden, durchfließenden Kraft das aufweicht, was verkrustet und
gestockt ist. Die unsere Gefühle genauso in den Fluss bringt, wie es als Blut
durch unseren Körper pulsiert, als Saft des Lebens uns mit allen Nährstoffen
versorgt. Im Wasser begann alles Leben, so heißt es. Im Großen, wie im Kleinen,
denn auch jedes Menschenleben beginnt im Lebenswasser im Schoß unserer Mutter.
Als einen solchen Ort der
Geborgenheit erlebe ich die Saunalandschaft hier in Bad Reichenhall, seit ich
vor vielen Jahren das erste Mal hierher kommen sollte. Das dunkle, samtige Rot,
die Wärme, das Wasser, all das schenkt mir das Gefühl eines großen,
mütterlichen Schoßes, der uns hier in sich aufnimmt.
Bad Reichenhall liegt in einem Talkessel,
Frau Percht hütet ihren Erdenschoss, dieses heilige, alte Land. Auf sie fällt
mein Blick, wenn ich von meiner Liege aus durch die großen Glasscheiben blicke.
Als Wintergöttin zeigt sie sich an diesem Faschingssamstag, teilweise
eingehüllt in einen dichten Wolkenmantel. Die Menschen hier kennen sie als
„schlafende Hexe“, seit die Christenmänner
meinten, den Menschen des alten Volkes die Verehrung der mächtigen Berggöttinnen
wie so Vieles andere auch austreiben und verbieten zu können.
Hinter meinem Rücken ragt der
Hochstaufen auf, jener Hausberg von Bad Reichenhall, der für meine Familie vor
gut eineinhalb Jahren zum Schicksalsberg werden sollte. Hans, der Vater meiner
drei Kinder, hat ihn geliebt, den Staufen. So sehr, dass er von dort aus mitten
im sinnlichen Mai in die Anderswelt der Percht absteigen sollte. Der Tod gehört
zum Leben, unausweichlich, in aller Eindrücklichkeit führt mir mein Hiersein
auch dies wieder einmal vor Augen.
Ganz alleine in der Erdsauna liegen
zu dürfen, nur das Knistern des Holzes im Ofen und meinen Atem zu hören, das
ist ein für mich wertvolles Geschenk, welches ich von diesem Samstagvormittag
für mein frühes Aufstehen erhalte. Geborgen und beschützt fühle ich mich in
dieser Gebärmutter, ausgekleidet mit sinnlichem, sich weich anfühlendem Holz,
umgeben von dicken Stämmen.
So still ist geworden, in mir, in
meinem Kopf, in meinem Herzen. So still, wie ich mich selber hier an diesem
Ort, der mich seit über zehn Jahren vertraut ist, noch nie erlebt habe. Mich
bei mir selber angekommen fühlen, hier an diesem Ort, den ich bisher vor allem
mit den Männern in meinem Leben verbunden wusste, hatte. Stille, die heilt, die
mich nährt, breitet sich aus in mir, durch mich hindurch, aus mir heraus.
Eintauchen in die Wasserkraft, sie
als Dampf in der Luft tanzen sehen. Erleben, wie sie auf mich herabsinkt, sie
als Schweiß auf meiner Haut spüren. Sie im Schnee auf den Liegen im Freien
wahrnehmen, einen kräftigen Schluck davon aus meiner Flasche trinken.
Die nackten Leiber der Frauen und
Männer, jede und jeder so ganz anders, so einzigartig, Erdkraft pur. Das Holz,
das sich mir als Hitze schenkt. Der Laist und das Salz, tief aus dem Bauch von
Mutter Erde. Meine Haut, so weich und zart, wie sie sich nur hier anfühlt.
Feuerkraft, die du das Wasser heiß
hast werden lassen, es zu Dampf verformt, so wie das Holz zu Hitze. Ich bin
eine Feuerfrau, geboren in der dunkelsten Zeit des Jahres.
Feuerkraft, stärke mein Lebensfeuer,
nähre die Leidenschaft in mir, fürs Leben mit all seinen Aufgaben und
Herausforderungen, für die Liebe, zu mir selber, und vor allem auch für Mutter
Erde und all ihre Wesen und Erscheinungsformen.
Staunen über die vielen Frauen und
Männer, Junge wie Ältere, die glatt rasiert sind wie kleine Mädchen und Buben.
Schmunzeln, wie alle um mich plötzlich kopflos werden durch den sich auf uns
herabsenkenden Dampf. Mich wundern, wie schwer es manchen Menschen fällt, für
ein paar Minuten nicht zu sprechen. Mein Bedürfnis nach Ruhe für alle hörbar
zur Sprache bringen. Die Wirkung meiner zwei Worte auf die Menschen hier im
Dampf erleben dürfen.
Luft, die du Blasen zauberst in das
Wasser und mich damit lustvoll kitzelst. Die du den mir so wohltuenden Dampf
möglich machst. Die du kalt bist an diesem Faschingssamstag und doch das neue
Jahr schon deutlich ahnen lässt.
Mich in dieses neue Jahr hinein
sinnieren. So wie es die Alten taten, bevor wir eingetreten sind ins Zeitalter
des Grübelns, des uns den Kopf Zerbrechens. Ein sinnlicher Tag. Mich freuen
über das silbrige Glänzen meiner Haut im Laistkleid, über das Glitzern der
Salzkristalle zwischen den feinen Härchen meiner Arme. Frauenbrüste, Quellen
von Nahrung und Lust, so vielfältig und unterschiedlich, wie sie nur die Göttin
erschaffen kann.
Auch Widersprüchliches fällt mir auf.
Überall ist zu lesen, dass keine Liegen mit Handtüchern reserviert werden
sollen, doch auf allen sind sie zu finden. Der Haken fürs Badetuch an der Wand
im Klo, war der schon immer da? Seit über zehn Jahren lege ich mein Badetuch
nun schon neben dem Waschbecken ab und nun diese Entdeckung.
Nur das machen, nur dorthin gehen,
was mir wirklich gut tut. Die Tür zum Putzkammerl zuziehen beim nächsten Gang
in den Ruheraum, diese Welt für Heute bewusst ausblenden. Jemand hat meinen
Impuls bereits empfangen. Das Gewusel nach dem Aufguss aus der Ferne
beobachten. Möglichst heiß, möglichst weit oben einen Platz ergattern,
möglichst heftig soll der Aufguss sein, das ist nicht meine Welt.
Erleben, wie dynamisch, um nicht zu
sagen hektisch, viele Menschen meinen, das Salz, den Laist, das Latschenkiefernöl
auf ihrem Körper verteilen zu müssen. Männer, die in
Hochleistungsgeschwindigkeit den Rücken ihrer Partnerin einreiben. Mich fragen,
während meine Hände bewusst und sanft über meine Haut gleiten, wie es den
Frauen dabei gehen mag? Ob die Männer die Frau vor sich dabei wirklich spüren
und wahrnehmen?
Staunen über die Frau, welche im
eiskalten Tauchbecken ihre Längen schwimmt, als wäre es ein warmer See an einem
lauen Sommerabend. Da fühle ich mich der Frau, die nur die große Zehe
reinsteckt, um sich abschüttelnd wieder umzudrehen, eindeutig mehr verbunden.
Etwas tun, was ich hier noch nie
getan habe. Mich alleine ins Restaurant setzen, mir das gönnen. Im Saibling von
der Bad Reichenhaller Fischzucht Alpenland, serviert auf meinem Beet aus Salat,
schenkt sich mir das Erdelement in geschmackvoller Art und Weise.
Mit dem Buch beginnen, das sich heute
mit mir auf die Reise hierher machen wollte. Mit den Worten „Bewirkst du etwas,
wenn du einen Stein in ein fließendes Gewässer wirfst?“ beginnt der Roman der
türkischen Schriftstellerin Elif Shafak. Eine interessante Frage, über die ich
noch nie sinniert habe. Im Prolog schreibt sie weiter „Vierzig Jahre lang glich
Ella Rubinsteins Leben einem ruhigen Gewässer…“. Ich erkenne und spüre schon
auf dieser ersten Seite, dass dieses Buch mehr mit meinem eigenen Leben zu tun
haben wird, als ich beim Einpacken heute Morgen geahnt habe.
Es ist 20 min. vor drei Uhr –
angesichts der Zeitlosigkeit, die ich heute in mir fühle, bin ich erstaunt,
dass ich bald schon sechs Stunden hier bin – als ich auf die Seite 40
umblättere und im ersten Moment gar nicht glauben kann, was doch unübersehbar
dort steht: Erster Teil – ERDE – alles Feste, Trockene, Regungslose
Zuerst fast nicht glauben zu können,
was ich doch schon ahne, blättere ich das Buch durch und tatsächlich, auf Seite
217 entdecke ich: Dritter Teil – WIND – alles Veränderliche, sich Entfaltende
und Herausfordernde
Aus Hunderten von ungelesenen Büchern
in meinen Bücherregalen sollte ich heute Morgen genau diesen Roman einpacken. Seit
ich heute Vormittag hier das erste Mal ins Wasser gestiegen bin, strömt dieser
neue Blogbeitrag mir zu, durchlässig, offen, empfänglich für die Elemente um
mich. Was wollen mir die Elemente mit diesem Saunatag, mit diesem Roman über „Die
vierzig Geheimnisse der Liebe“ sagen…
Wunderschön liebe Renate, beim Durchlesen kam ein Gefühl des Mitschwebens durch deinen Tag in mir nun auf, ein miterleben, schweben, schwimmen, die Ruhe, und, und, und ... das Wasser spüren, das Salz berühren, das Feuer, die kalte Luft und der Seele wohltuend Ruh' und wieder wohlbehütet auf der Erde ... dies war nun mein Gefühl zu deinem wunderschönen Tag liebe Renate, vielen Dank für's teilhaben lassen.
AntwortenLöschenMit lieben Gruß, Berta