Ein zyklischer Tag…



Mit leichten Schmierblutungen kündigt sich meine Menstruation an. Ich freue mich, dass sie kommt. Nicht, weil ich Sorge hätte, schwanger zu sein. Sondern weil ich in zwei Wochen 49 werde. Schon seit einigen Jahren wird mir immer deutlicher bewusst, wie ähnlich und doch auch unterschiedlich diese magischen Blutschwellen im Leben der Frau sind. Beim ersten Mal wissen wir nicht, wann es soweit sein wird. Jahrelang könnte jeder Tag der erste sein. Wenn es soweit ist, dann wissen wir es in dem Moment: jetzt ist es soweit! In meinem Tagebuch von damals hab ich es mir glücklicherweise aufgeschrieben, es war der 21. Juli 1980.

Ob es das letzte Mal war, das wissen wir erst später. Zumindest ein Mondmonat zieht ins Land, bevor Frauen zu ahnen beginnen, dass es die letzte Menstruation gewesen sein könnte. Doch vielleicht setzt sie ja nur mal ein Monat aus und kommt dann doch nochmals wieder. Eine unregelmäßige, eine im wahrsten Sinne des Wortes wechselhafte Zeit im Leben von Frauen. Von meiner ersten Blutung ist mir nichts geblieben als der Tag in meinem Tagebuch. Von meiner letzten Blutung soll das anders sein. Monat für Monat friere ich seit einiger Zeit mein Mondblut ein. In einem kleinen Gläschen, beschriftet mit dem Datum. Hole sie nach einer Weile wieder heraus, um sie in einem Ritual an besonderen Orten Mutter Erde zu schenken. 


Dank den Menstruationscups geht das ganz einfach und praktisch. Schon lange werfe ich mein in früheren Zeiten heiliges, heilsames, nährendes Frauenblut nicht mehr in den Müll, spüle es nicht mehr in die Kanalisation. Ich bin gerne eine blutende, eine menstruierende Frau. Ich erinnere mich an die magischen Momente in meinem Leben, als die ausbleibende Regel meine Hoffnung und Ahnung bestätigte, dass ich schwanger bin. Meine rote Mutter-Frauenkraft hab ich intensiv, bewusst und ausgiebig gelebt. Der Spur meiner roten Frauen-Liebes-Lebenskraft habe ich erst vor 10 Jahren zu folgen begonnen. Bewusst habe ich mir rote Kleidung gekauft, hab meine Wohnung von Blau- in Rottöne umgewandelt. Rote Leintücher gehörten da ebenso dazu wie ein roter Teppich im Wohnzimmer. Ohne rote Handtasche war ich nicht anzutreffen und betrat ich ein Schuhgeschäft, so schaute ich zuerst nach roten Schuhen.

Seit ein paar Monaten beginnt sich die rote Phase meines Lebens auch im Außen zu wandeln. In meinem Schlafzimmer ist grau-weiße Klarheit eingezogen, von einem Tag auf den nächsten mussten die roten Vorhänge weg. Nach einer neuen, roten Handtasche hab ich über ein halbes Jahr gesucht, doch keine war so, wie ich sie mir wünschte. Da stand plötzlich eine edle, dunkelblaue vor mir und ich spürte, dass sie meine werden will. Einiges bleibt in Rot, ob vorerst oder für länger, es wird sich zeigen.

Noch kann ich mir nicht wirklich vorstellen, wie es sein wird, nicht mehr zu bluten. Sicherlich, es wird zum Einen praktisch sein. Keine Sorge mehr um Verhütung, ob was durchgeht, ob ich die Regel genau am Tag einer wichtigen Veranstaltung bekomme. Doch es wird auch komisch sein, fremd, neu und es wird sich die Trauer darunter mischen, diese für mich so wichtige und besondere Phase meines Lebens endgültig loslassen zu müssen. Nicht mehr diese zyklische Uhr in mir zu tragen, die mir Monat für Monat, so wie heute Morgen, so deutlich aufzeigt, was Frau sein, was Weiblichkeit leben wirklich bedeutet.

Zu erleben, wie die Mondin in mir die Pläne meines Verstandes durchkreuzt. Nicht all das zu leisten, was der Kopf für dringend nötig und wichtig erachtet hätte für diesen Tag. Sondern hinein zu tauchen in die Tiefe meines Schoßes, das Blut zu begrüßen, die Wandlung tief in mir drinnen zu erleben, zu realisieren, dass gar nichts zu tun sehr viel sein kann, was sich da dann tut. In mir, nicht im Außen, nicht im Haushalt, nicht beim Beantworten der Mails, nicht beim Verschicken der Einladungen für die Buchpräsentation nächste Woche.

Das kuschelige Nachthemd anbehalten und die Jogginghose drunter ziehen. In die Kühle des Balkons rausgehen, auf den spätnovemberlichen Garten blicken, dort die Dinge wahrnehmen, die Hans, der Vater meiner Kinder für uns gebaut hat und zu spüren, dass er auch nach seinem Tod auf vielfältige Weise präsent in meinem, in unserem Leben ist und bleibt. Den Tränen Raum geben, die dabei aus mir hochsteigen wollen. In den Morgen gegangen zu sein mit einem besonderen Buch von einer besonderen Frau, die darin in Briefen über das Leben und Sterben ihrer Tochter erzählt. Mit „…Weibagelächter, wie von alten weisen Weibern, denen keiner mehr irgendwas vormachen kann“ über den Tod schreiben, der uns so viel übers Leben lehren würde, wenn wir ihm und ihr doch zuhören würden.

„Wenn der Tod neben uns steht, bemerken wir umso mehr das Leben. Aber er steht immer neben uns! Wie viele Menschen wissen das nicht oder wollen es nicht wissen und sehen auch das Leben nicht. Jammern wieder mal über’s Wetter und die Benzinpreise und haben keine Ahnung, wie man das Leben im Hier und Jetzt in Freude lebt.“ (Martina Silvia Glatt)

In der neuen GEA-Broschüre lesen, während des Frühstücks. Wieder einmal die zentrale Botschaft von Heini Staudinger lesen: „Das Wichtigste im Leben ist das Leben. Nicht das Geld, nicht das Auto, nicht das Haus. Das Leben selbst ist es. Im Alltag vergessen wir es oft. Wir fügen uns den Sachzwängen, auch wenn diese gar nichts mit unserer Sehnsucht zu tun haben. Diese Methode ist weit verbreitet. Oft führt sie in eine latente Traurigkeit. Der Dienst an den Sachzwängen funktioniert fast immer, während wir längst darunter leiden, dass der Fluss des Lebens um uns herum austrocknet.“

Mir kommen die Frauen in den Sinn, von denen ich immer wieder höre, dass „sie ja so gerne mal zu meinen Bauchtanzkursen kommen würden, aber der Mann und die Kinder und der Haushalt und der Beruf…“. Doch wenn die Tödin an unser Bett tritt und sie uns über den Fluss in ihr Reich holt, dann interessiert es sie nicht, ob daheim alles schön sauber und ordentlich ist. Auch von den schicken Kleidern im Kasten können wir keine mitnehmen und Karriereleiter führt auch keine in die Anderswelt von Holle und Percht. Unsere Seelen sind es, die sich mit der wilden Jagd auf die Reise machen werden und sie nehmen das seelische Gepäck, das wir in unserem Leben angehäuft oder doch nicht, so wie geplant, ausgepackt haben, wieder mit auf die Reise ins nächste Leben. Hier gehörte entrümpelt, reingeschaut, losgelassen, ausgemistet.

Mein beginnender Blutfluss lässt mich die Dankbarkeit für den Fluss in meinem Leben wieder spüren. Auch wenn sich mein Kopf so Einiges anders erhofft hatte für die vergangenen Jahre, so sollte es doch genau so kommen, wie es nun ist. Die sich immer weiter ausdehnende Ruhe in mir spüren, seit ich das alles hier am Schreiben bin. Auf meine Bücherregale zu blicken und wieder einmal zu realisieren, dass meine Bücher mein wichtigstes Hab und Gut sind.

Meinen Gedanken und Gefühlen über das alleine sein nachhängen. Mir bewusst darüber werden, in welch einer wichtigen und wertvollen Phase meines Lebens ich mich befinde. Wie viel Freiheit ich mir in meinem Leben geschaffen habe in den vergangenen Jahren. Lieber mit mir alleine sein, als einsam sein zu zweit, wie ich viele Frauen und Männer in ihren Ehen und Beziehungen um mich herum erlebe.

Nicht mehr aus „heißer Luft ein Traumschloss“ zu bauen versuchen, wie es Mary Roos am Samstagmorgen auf meiner Fahrt zum Weibamarkt in ihrem Lied „Unbemannt“ im Radio besungen hat. Nicht mehr aus jedem „Du“ ein „Wir“ zu machen versuchen, nicht mehr "gegen verschlossene Türen rennen". Ja, auch ich habe verstanden: „…das Glück an sich ist unbemannt.“ 

Das Glück ist eine Schatzkiste, mit besonderen Kleinigkeiten und kostbaren Eindrücken darin, mit buntem Krimskrams und mit allerlei, in den Augen der anderen, Unscheinbarem vermischt. Das Glück dieses heutigen Tages bewusst zu spüren und zu erleben - in kein Büro, in kein Geschäft zum Arbeiten zu müssen. Dem Impuls, dass ich heute über „irgendwas“ einen Beitrag für meinen Blog schreiben soll, auf der Spur bleiben können…dem „roten Faden“ in meinem Leben folgen dürfen…




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